Otto, Ri 2021, 104-105

Healthcare Compliance – Anleitung zum Topfschlagen im Minenfeld

Rezension von Geiger, Healthcare Compliance – Praxisleitfaden für Unternehmen und Leistungserbringer im Gesundheitswesen; 2021 Verlag C.H.Beck, ISBN 978 3 406 71726 0

Claudia Otto

Ich erinnere mich noch, wie fasziniert ich in meiner ersten Woche als Inhouse Counsel bei einem internationalen Pharmaunternehmen auf die Feinheiten von Verträgen z.B. über Fortbildungsveranstaltungen mit Bewirtung reagierte. In denen war zu regeln, dass, überspitzt formuliert, wirklich nur das Nötigste auf den Tisch kommt. Angemessen nannte man das. Unterhaltung bzw. deren Unterstützung mit Geld war zu unterlassen. Spaßbefreites Völkchen, könnte man denken. Jedenfalls, wenn man andere Branchen und ihre „Fortbildungsveranstaltungen“ kennengelernt hat. Woher die vorgenannten Verhaltensregelungen stammen, lernte ich schnell: Aus dem FSA-Kodex Fachkreise[1]. Und ich lernte: Es. Ist. Echt. Ernst. Ein Fehlverhalten kann gravierende Folgen haben, im schlimmsten Fall bis hin zur Verurteilung wegen einer (Korruptions-)Straftat. Healthcare Compliance sollte man nicht auf die leichte Schulter nehmen. Doch wo genau liegen die Übergänge zwischen der pharmazeutischen Selbstkontrolle innerhalb eines Vereins wie dem Freiwillige Selbstkontrolle für die Arzneimittelindustrie e.V. (FSA e.V.) und dem kodifizierten Recht? Wie verhalten sie sich zueinander?

Ich suchte und wunderte mich: Warum fand ich keine Literatur abseits der Kodizes, der Vereinswebsite und des internen Wissens, v.a. gespeichert in menschlichen Köpfen? Wie kann ein Bereich, der bisweilen als Topfschlagen im Minenfeld bezeichnet werden kann, in der juristischen Literatur derart vernachlässigt werden?

Dr. Daniel Geiger, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Medizinrecht und Wirtschaftsmediator in München, trifft hier also nicht nur einen Nerv, sondern direkt ins Schwarze. Was hätte ich vor knapp drei Jahren gegeben, sein Werk „Healthcare Compliance“ samt den von ihm und vielen weiteren erfahrenen Bearbeiter:innen geschriebenen, hilfreichen Beiträgen greifbar gehabt zu haben. Alles. Es hätte mir so vieles, kompakt und an-die-Hand-nehmend, binnen kurzer Zeit begreiflich gemacht, auch wenn mein erfahrener Kollege und damaliger Healthcare Compliance-Gott mich wunderbar in die Thematik eingeführt hat. Diesen Kollegen oder diese Kollegin hat aber wahrscheinlich nicht jede:r, die oder der – wie ich damals – mit Healthcare Compliance erstmals in Berührung kommt.

Was Geiger und den Bearbeiter:innen hervorragend gelingt, ist geduldig, klug und logisch aufeinander aufbauend Zusammenhänge aufzuzeigen. Denn gerade diese sind essenziell, aber nicht schnell ersichtlich, spannt sich das Thema Healthcare Compliance doch breit zwischen dem Zivil-, Straf- und Verwaltungsrecht, wo es sich meist zwischen den Zeilen versteckt. Hier hat das Buch seine größte Stärke und kann sich anderen Werken namens „(Rechts-)Handbuch“ gegenüber als kleines Meisterwerk bezeichnen: In Geigers „Healthcare Compliance“ werden die Lücken zwischen den Zeilen bestmöglich mit Praxiswissen ausgefüllt, um Healthcare Compliance umsetzen zu können. Man merkt durchweg, dass hier sehr viel Erfahrung eingeflossen ist. Und Herzblut. Wie oft bekommt man solch einen Eindruck von juristischer Literatur?

Das bedeutet nicht, dass „Healthcare Compliance“ leichte Kost ist. Wer sich mit dem Thema befasst hat, weiß, welch Ausmaß an Hirnkapazität hier in Anspruch genommen werden kann. Das Buch nimmt diese immense Last auf sich, wenn auch auf Kosten der Nachttischlektürequalität. Verzichtbar, denn sicher ist: Nach dem konzentrierten Studium ist man um viel Wissen reicher:

„Healthcare Compliance“ beginnt in § 1, bearbeitet von Geiger/Schloßer, mit Marktverhaltensregelungen und Zuwendungsverboten im Gesundheitswesen. Behandelt werden, sehr ausführlich, das heilmittelwerberechtliche Zuwendungsverbot in § 7 HWG, heilberufsrechtliche Zuwendungsverbote, krankenhausrechtliche Zuweisungsverbote sowie sozialversicherungsrechtliche Zuwendungs- und Zuweisungsverbote.

In § 2 führt Geiger fort zum Korruptionsstrafrecht und die Lesenden an die einzelnen Fragen der Strafbarkeit heran: Wer kann Täter sein, was ist ein Vorteil, was ist eine Unrechtsvereinbarung und welche Rolle spielt die Dienstherrengenehmigung? Geradezu schulmäßig geht Geiger anschließend auf den subjektiven Tatbestand, besonders schwere Fälle der Bestechlichkeit und Bestechung, Verjährung, Strafantragserfordernisse und Rechtsfolgen von Korruption ein. Geiger schließt ab mit hilfreichen Ausführungen zur Korruptionsprävention und Compliance, hier insbesondere den Prinzipien der Antikorruption: Trennungsprinzip, Äquivalenzprinzip, Transparenz- und Genehmigungsprinzip sowie Dokumentationsprinzip und wie sie im Rahmen der Vertragsgestaltung Eingang finden (sollten).

Mit § 3 zeigen Geiger/Rupprecht Ausgangslage und Herausforderungen der Healthcare Compliance auf und wie diese mit Collective Compliance Action und industrieller Selbstkontrolle gemeistert werden können. Vorgestellt werden supranationale und nationale Compliance-Pacts der Pharma- und Medizinprodukteindustrie sowie ihre Grundsätze und inhaltlichen Vorgaben, wie z.B. jene des oben genannten FSA e.V. Abschließend gehen Geiger/Rupprecht noch auf die Rechtsstellung der Branchenkodizes und darauf gründende verbandsinterne Sanktionierung von Verstößen der Mitglieder ein.

Pautke schließt in § 4 zum Thema Kartellrecht an und beginnt sogleich mit der Erläuterung von Grundprinzipien, Grundbegriffen und Grundfragen, wie die zum Verhältnis zwischen dem Kartellrecht und dem Strafrecht oder der Regulierung im Gesundheitswesen. Rechtsfolgen eines Kartellrechtsverstoßes werden vorangestellt und dann die einzelnen Kartellverbote im nationalen und europäischen Recht vertieft. Besonderer Fokus wird daneben auf den Missbrauch von Marktmacht gelegt. Das Kapitel schließt mit Hinweisen zur Relevanz von Healthcare Compliance bei Unternehmenstransaktionen.

Der „wirklich“ praktische Teil beginnt mit § 5, in dem Geiger ausgewählte Problemfelder der Healthcare Compliance vorstellt. Das Beschaffungswesen bzw. der Einkauf, Fortbildungsteilnahme und Kongresseinladungen, Geschenke bzw. Zuwendungen, Kooperationsverträge, Preisnachlässe, Spenden und Sponsoring sind dabei nur eine kleine Auswahl der abgedeckten Themen.

Rupprecht knüpft in § 6 mit Ausführungen zu Compliance-Programmen und Compliance-Management-Systemen an, in denen er (Rechts-)Grundlagen von und Anforderungen an eben solche vorstellt, die Kernelemente eines Healthcare Compliance-Programms bestimmt und die Implementierung sowie Weiterentwicklung von Compliance-Programmen behandelt.

§ 7, bearbeitet von Haußmann, befasst sich mit der arbeitsrechtlichen Implementierung von Healthcare Compliance-Programmen, wobei zum einen Arbeitnehmendenpflichten dargestellt werden, aber auch thematisiert wird, wie man Arbeitnehmende zu ihrer Einhaltung motivieren kann (hier z.B. durch Anreizsysteme oder Meldesysteme). Daneben behandelt der Beitrag die Aufklärung von Compliance-Verstößen in internen Untersuchungen, ihre Mittel und die Frage nach der Mitwirkungspflicht von Arbeitnehmenden. Abschließend behandelt Haußmann den Umgang mit den in internen Untersuchungen gewonnenen Erkenntnissen gegenüber den Mitarbeitenden.

Einblicke in die Grundzüge der Strafverteidigung in Fällen von Non-Compliance gibt Rettenmaier in § 8. Vorgestellt werden die präventive und reaktive Beratung in den einzelnen Verfahren und Verfahrensabschnitten sowie die verschiedenen Formen und Healthcare-bereichsspezifischen Besonderheiten der Verfahrensbeendigung.

Die Grundzüge des Medienrechts stellt Vendt im letzten Kapitel § 9 vor und was zu tun ist, wenn Wort- oder Bildberichterstattung in die Rechte eines Healthcare-Unternehmens eingreift. Die verschiedenen Ansprüche sowie Beweislastregeln werden vor- und strategische Überlegungen angestellt.

Das knapp 400 Seiten starke Werk „Healthcare Compliance“ von Geiger enthält geballtes Rechts- und Praxiswissen für im Healthcare-Bereich Tätige. Vergleicht man den Preis von 99,00 EUR mit den Preisen anderer „(Rechts-)Handbücher“ im Beckschen Sortiment, ist „Healthcare Compliance“ überraschend günstig (und jeden Cent mindestens doppelt wert). Das Stichwortverzeichnis ist hervorragend geführt und auf den Inhalt abgestimmt, so dass man trotz des kompakten Schreibstils stets schnell die gewünschte Information finden kann. Nachschlagen wird man aufgrund der Komplexität von Healthcare Compliance immer mal wieder müssen. Für Newbies im Healthcare-Bereich ist Geigers Werk Lektürepflicht; für alle anderen Pflichtlektüre. Man kann und muss nicht immer alles Wissen parat haben – man muss aber wissen, wo man es nachschlagen kann.

Der einzige „Mangel“ des Werks „Healthcare Compliance“ ist das Fehlen von Themen rund um den Einsatz „neuer Technologien“ im Healthcare-Bereich, wobei der (Patienten-)Datenschutz, selbst ein berühmt-berüchtigtes Minenfeld, nur ein Beispiel ist. Herr Dr. Geiger hat jedoch anklingen lassen, dass eine buchförmige Ergänzung zur „klassischen Healthcare Compliance“ angedacht ist. Darauf darf sich gefreut werden, denn „Healthcare Compliance“ verheißt, dass sie großartig wird.

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[1]  Abrufbar hier: https://www.fsa-pharma.de/de/kodizes/zusammenarbeit/fachkreise (zuletzt abgerufen am 8. Dezember 2021).

 

Titelbild: © Atstock Productions, via Adobe Stock, #197327562

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