Künstner, Ri 2021, 96-100

Hält der Blockchain-Hypetrain in Antitrustville?

Eine Besprechung von Thibault Schrepels „Blockchain + Antitrust – The Decentralization Formula“

Dr. Kim Manuel Künstner

Mit dem Werk “Blockchain + Antitrust The Decentralization Formula” legt Thibault Schrepel ein knapp 300-seitiges Werk in englischer Sprache vor, welches am 21. September im Edgar Elgar Verlag erschienen ist. Der Autor ist außerordentlicher Professor für Recht an der Vrije Universiteit Amsterdam, an der er das Amsterdam Law & Technology Institute mitleitet, und Fakultätsmitglied am CodeX Center der Stanford University. Dass Schrepel aktuell eine gefragte Stimme ist, wenn es um neuere Entwicklungen der Digitalwirtschaft und Kartellrecht geht, zeigt nicht zuletzt sein aktueller Bericht über Smart Contracts[1] und Kartellrecht, den er für die EU-Kommission erstellt hat und der einige Parallelen zum hier besprochenen Werk aufweist.

 

Aufbau und wesentliche Inhalte des Werkes

Das Buch ist nach einer kurzen Einführung in drei wesentliche Abschnitte unterteilt, welche die gemeinsamen Ziele („Part 1: A Common Ambition“), die Reibungspunkte („Part 2: Best Frenemies?“) und den Schulterschluss („Part 3: Allies“) zwischen der Blockchain-Technologie und dem Kartellrecht ausleuchten. Die Abschnitte sind wiederum in insgesamt fünfzehn Kapitel untergliedert. Deren klare Benennung erlaubt es, einzelne Themen gezielt anzusteuern, beispielsweise Kapitel 8 („Collusion on blockchain“) bzw. Kapitel 9 („Collusion using blockchain“) bei Interesse an der Rolle der Blockchain-Technologie bei kartellrechtswidrigen Absprachen. Durch geschickt gewählte Übergänge lässt sich das Werk jedoch auch als „Fortsetzungsroman“ lesen.

Die Einteilung der Kapitel zeigt im Übrigen, dass sich Schrepel trotz einer ambitionierteren Benennung der drei Abschnitte seines Buches für den klassischen und naheliegenden Dreischritt bei der Darstellung eines Lebenssachverhaltes in Verbindung mit Regulierung entschieden hat; namentlich Darstellung des Lebenssachverhaltes (hier: Blockchain), Anwendung der gesetzlichen Regulierung (hier: Kartellrecht) sowie Ausblick und Empfehlung.

Bei chronologischem Durcharbeiten der Kapitel des ersten Abschnitts lernt der Lesende zunächst die Essentialia des gedanklichen Überbaus und wesentliche Schritte der Entwicklung der Blockchain-Technologie (Bitcoin, Smart Contracts, andere dezentrale Anwendungen) kennen („Chapter 1: Blockchain: from ideology to implementation“). Anschließend beschreibt Schrepel Verschlüsselung und Unveränderlichkeit als wesentliche Elemente ihres Nutzens als Transaktionstechnologie („Chapter 2: Blockchains toolbox“). Charles Darwin hält als Zeuge für die Anpassungsfähigkeit und Evolution von Technologien wie der Blockchain her („Chapter 3: Blockchain and Darwin“).

Im vierten Kapitel (“Chapter 4: Decentralization?”) kommt Schrepel mit dem Aspekt der Dezentralisierung auf einen zentralen Punkt seines Werkes zu sprechen. Hier geht er von einem sehr spezifischen Verständnis der Dezentralisierung als Form der Autonomie aus, die ein bestimmtes Subjekt bei der Festlegung seiner Kompetenzen genießt. Im Kontext der Blockchain-Technologie bezeichnet Schrepel die Dezentralisierung als effizienzfördernd, da sie Transaktionskosten reduziere. Er stellt anschließend sieben verschiedene Ebenen der Blockchain-Technologie dar (Real Space, Cyberspace, Blockchain Database, Blockchain Infrastructure, Blockchain Governance, Blockchain Application, User) und beschreibt, dass diese unterschiedlich (de-)zentralisiert sein können, teilweise auch zum Nutzen der User. Diese Verwebung mehrerer Dimensionen verleiht Schrepels Konzept der Dezentralisierung einen hohen Grad an Abstraktheit.

Zum Abschluss des ersten Abschnitts führt der Autor dann seinen zweiten Protagonisten auf die Bühne („Chapter 5: Comes antitrust: the paradox”). Er entwirft zunächst eine Entwicklungsgeschichte der Rechtsmaterie, welche wie von Zauberhand zu seiner Dezentralisierungsthese passt. Denn – hört, hört – auch das US-amerikanische Antitrust-Recht habe von seiner Gründung an vor allem Dezentralisierung in der Schrepel’schen Lesart zum Schutzobjekt, d.h. die Autonomie, die ein bestimmtes Subjekt bei der Festlegung seiner Kompetenzen genießt. Ungeachtet der unterschiedlichen Entstehungs- und Entwicklungsgeschichten, subsumiert er das EU-Kartellrecht en passant auch unter die Dezentralisierungs-Hypothese. Schrepel schlussfolgert, dass Blockchain-Technologie und Antitrust-Recht dieselben Ziele verfolgten, aber mittels unterschiedlicher Methoden: Die Blockchain-Technologie wolle den Intermediär überflüssig machen, während das Antitrust-Recht – etwas tautologisch – Verhalten unterbinden wolle, das gegen Antitrust-Recht verstößt. Gegenseitige Unterstützung soll möglich sein, wenn Nutzende der Blockchain-Technologie Antitrust-Recht zur Abwehr von Zentralisierungstendenzen anwenden. Reibungspunkte sieht Schrepel dagegen wenig überraschend dann, wenn Blockchain-Technologien zur Umsetzung antikompetitiver Verhaltensweisen eingesetzt werden. Diesem Aspekt ist größtenteils der zweite Abschnitt seines Buches („Best Frenemies?”) gewidmet, zu dem er hierdurch geschickt überleitet.

In diesem zweiten Abschnitt dekliniert Schrepel dann die möglichen Reibungspunkte zwischen Blockchain-Technologie und Antitrust-Recht durch. „Chapter 6: The theory of the firm” leitet er mit allgemeinen Ausführungen zum kartellrechtlichen Konzept der „firm“ (USA) bzw. wirtschaftlichen Einheit (EU) ein, um die Grenzen der kartellrechtsfreien Sphäre (innerhalb der „firm“) und wettbewerbsbezogenen Sphäre (zwischen den „firms“) abzugrenzen. Der Zweck dieser Einleitung erschließt sich erst so richtig in Verbindung mit dem anschließenden Kapitel, in welchem er eine Granularitätstheorie formuliert, die notwendig sei, um die Grenzen der zulässigen Kooperations- und Wettbewerbszonen bei Blockchain-Netzwerken zu bestimmen („Chapter 7: The theory of granularity”). Deutlich mehr „hands on“ sind die folgenden Kapitel zu den Kartellabsprachen „in der Blockchain“ („Chapter 8: Collusion on blockchain”) bzw. durch Nutzung der Blockchain-Technologie („Chapter 9: Collusion using blockchain”), Blockchain und Marktmacht („Chapter 10: Blockchain power”), Blockchain und Monopolisierung („Chapter 11: Blockchain and monopolization”) sowie Blockchain und Fusionskontrolle („Chapter 12: Blockchain and merger control”), nach deren Lektüre zunächst von der Freundschaft zwischen Blockchain-Technologie und Antitrust-Recht nicht mehr so viel übrig bleibt.

Rettung verspricht jedoch der dritte Abschnitt („Allies“). In diesem stellt Schrepel seine Ideen zur (kartellrechtlichen) Regulierung der Blockchain-Technologie vor. Maßstab für die Regulierung sind nach Schrepel Objektivität, Flexibilität, Genauigkeit und Handhabbarkeit, wobei zwischen diesen Zielkonflikte bestehen können („Chapter 13: Law technology”). Gemessen hieran hält er Regulierungsansätze wie Identitätsmanagementsysteme, die im Zweifelsfall die Identität der Teilnehmenden des jeweiligen Blockchain-Netzwerks offenbaren können, nicht für praktikabel, v.a. weil ein Akzeptanzproblem der Blockchain-Nutzenden bestehe. Behörden würden dann zwar kartellrechtswidriges Verhalten in oder über die Blockchain identifizieren, aber nicht abstellen können. Auch strafrechtliche Ansätze, generelle Verbote anonymer Kryptoaccounts oder eine Beschränkung der Ausgabe von sog. Stablecoins auf Banken verwirft er unter Verweis auf weitreichende Einschnitte in die persönlichen Freiheiten der Blockchain-Nutzenden und das von ihm erkannte Entwicklungspotential der Blockchain-Technologie insgesamt. Gleichzeitig erkennt Schrepel an, dass konfrontatives Verhalten der Blockchain-Communities zu konfrontativen Gegenreaktionen des Gesetzgebers und der Behörden führt, was für beide Seiten schlecht sei. „Law + Code“ müssten daher zusammenfinden und „die Communities“ sollen sich die Hände reichen. Durch das Zusammenwirken könne erreicht werden, dass die Blockchain-Communities selbst kartellrechtswidriges Verhalten sanktionieren und die Teilnehmenden von solchem Verhalten abbringen. Gleichzeitig erhalte der Staat aufgrund der Kulanz der Blockchain-Communities Zugang zu diesen.

In Kapitel 14 skizziert Schrepel, wie die Zusammenarbeit der Communities aussehen kann („Chapter 14: Running the formula”), namentlich durch Komfortzonen in Form von „innovation hubs“[2], „regulatory sandboxes“[3] und „safe harbors“. Für die Durchsetzung des Kartellrechts in Bezug auf Blockchain-Netzwerke schlägt Schrepel einen dezentralen Ansatz mit „Futarchic“ vor. Dabei handelt es sich um einen Governance-Ansatz, der auf die „Schwarmintelligenz“ setzt und Prognosemärkte nutzt. Hierdurch werde der zukünftige Ausgang eines Ereignisses handelbar. Das Konzept in seiner Gesamtheit zu erklären, sprengte den Rahmen dieses Beitrags, daher sei nur so viel angerissen: Statt über eine künftige kartellrechtliche Entwicklung (z.B. die Preisentwicklung nach einem Zusammenschluss) zu sinnieren, soll im Rahmen eines Token-Systems darauf gewettet werden. Die Token derjenigen, die richtig wetten, gewinnen an Wert (der auch in Reputation ausgedrückt werden kann; sog. „Reputation Token“) und signalisieren ein hohes Maß an Prognosesicherheit. Ein Blockchain-Netzwerk sei hierfür aufgrund seiner Transparenz gegenüber den Teilnehmenden und der unmittelbaren technischen Ausführung ein geeigneter Ansatz.

Schrepel schließt das Werk mit einem Ausblick auf die Zukunft der Blockchain-Technologie ab („Chapter 15: Blockchains future”). Er schreibt ihr v.a. das Potential zu, zentralisierte Plattformen wie Facebook, Amazon, etc. angreifen zu können. Schließlich habe „die Blockchain” über die Netzwerkeffekte der Plattformen hinaus einen incentivierenden „token effect“, dem Blockchain-Netzwerk beizutreten.

Abschließend geht Schrepel noch auf die Bedeutung der Blockchain als mögliche Infrastruktur für das Internet of Things („IoT“) und die sog. künstliche Intelligenz („AI“) ein. Das IoT profitiere von der Beseitigung der Gefahr einer einzigen, zentralen Fehlerquelle. Die hieraus folgende Sicherheit sei auch eine geeignete Grundlage für künstliche Intelligenz.

 

Würdigung der Hauptthesen des Werkes

Schrepel verfolgt mit seinem Werk eine Agenda und er macht auch keinen Hehl daraus. Schon die Wahl der Schreibweise des Titels zeigt, wo die Reise hingeht. So erscheint das Buch nicht etwa als „Blockchain and Antitrust“ oder mit dem kaufmännischen Und-Zeichen, sondern unter dem Titel „Blockchain + Antitrust“ – lies: Blockchain plus Antitrust.

Grosso modo geht es Schrepel um das Verhältnis von Recht (Antitrust) und Technologie (Blockchain). Er unterscheidet drei Konstellationen: Spannungsverhältnis („tension“), ambivalentes Verhältnis und harmonisches Verhältnis („harmony“). Die harmonische Schnittmenge, die Schrepel zwischen den Protagonisten seines Werkes identifiziert haben will, gibt er im Untertitel „The Decentralization Formula“ preis. Diese Hauptthese des gemeinsamen Ziels der „Dezentralisierung“ zieht sich konsequent als roter Faden durch das Werk und spiegelt sich insbesondere in der Untergliederung des Werkes in die Abschnitte „Common Ambitions“, „Best Frenemies“ und „Allies“ wider. Wie gezeigt, legt der Autor eine sehr spezifische Definition von Dezentralisierung zugrunde (Autonomie, die ein bestimmtes Subjekt bei der Festlegung seiner Kompetenzen genießt), die in einem interessanten Spannungsverhältnis zur (programmatischen) Definition der Marktbeherrschung im EU- und deutschen Kartellrecht steht. Gemeint ist Autonomie als Form der Möglichkeit, sich seinen Wettbewerbern, seinen Abnehmern und letztendlich den Verbrauchern gegenüber in einem nennenswerten Umfang unabhängig zu verhalten. Schrepel verwendet daher einen Dezentralisierungsbegriff, der sprachlich sehr nahe an der Definition von Marktmacht liegt. Dass die Erschaffung oder Erhaltung von Marktmacht das Ziel des Antitrust-Rechts wäre, dürften aber selbst die größten Zyniker nicht behaupten. Die vermeintliche Zielidentität steht daher von Beginn an auf wackeligen Beinen und wirkt stellenweise bemüht.

Nicht ohne Reibungsverluste ist insoweit auch die Abgrenzung und Definition des Begriffs „Antitrust“. Schrepel meint in erster Linie Antitrust-Recht in seiner US-amerikanischen Ausprägung. Jedenfalls zitiert er mehrfach den U.S. Supreme Court, wonach Antitrust die Magna Charta der freien Marktwirtschaft und daher das Gesetz aller wirtschaftlichen Transaktionen sei. Zudem beruft er sich auf die Konsumentenwohlfahrt als Standard für die Anwendung des Antitrust-Rechts.

Dies lässt sich allenfalls eingeschränkt auf das Kartellrecht der EU und in Deutschland anwenden. Gerade in Deutschland gilt das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen als „Grundgesetz der sozialen Marktwirtschaft“. Das deutsche GWB kennt bis heute die Ausnahme der Mittelstands-Kartelle. Das Bundeskartellamt lässt gerade auf Plattformmärkten auch Zusammenschlüsse zwischen engen Wettbewerbern zu, wenn diesen gemeinsam eher zugetraut wird, sich gegen den Marktführer zu behaupten und ein sog. Tipping des Marktes zu verhindern. Dezentralisierung ist insoweit kein Selbstzweck, sondern wird in den Kontext der Einwirkungen auf die Wettbewerbsstruktur und die Bestreitbarkeit von Märkten gesetzt.

Bisweilen verfällt Schrepel dann auch der Ästhetik eines Arguments zu Lasten dessen Belastbarkeit. Sofern er beispielsweise feststellt, der Sherman Act befasse sich angesichts des Begriffs „Anti-trust“ mit Trusts (in Deutschland vergleichbar mit Treuhändern), also Intermediären, die bei der Blockchain fehlten, ist aus Sicht eines beratenden Rechtsanwaltes im Kartellrecht festzustellen, dass sich die Fallzahlen im Kartellrecht mit Treuhändern in engen Grenzen halten. Wie etwa Werden in „The Foundations of Antitrust“ darlegt, bekam der Begriff „Trust“ bereits im Jahr 1900 eine Chiffre für jedes große Unternehmen in den USA.[4] Intermediäre Trusts waren für die allerkürzeste Zeit überhaupt im Fokus des Sherman Acts und anderer Antitrust-Regeln der USA. Zudem beruft sich Schrepel – für sein Verständnis von Dezentralisierung im Anwendungsbereich des Antitrust-Rechts – auf den Umstand, dass sich die Bewegung der Anti-Monopolisten um Louis D. Brandeis nicht durchgesetzt hätte und Entscheidungen des U.S. Supreme Courts in diesem Sinne vereinzelt geblieben wären. Es mag dem Veröffentlichungszeitpunkt seines Buches geschuldet sein, ist aber gleichwohl nicht ohne Ironie, dass zum Zeitpunkt des Erscheinens von „Blockchain + Antitrust“ mit Lina Khan eine selbsternannte „New-Brandeisian“ der amerikanische Wettbewerbsbehörde FTC vorsitzt. Dieser Umstand zeigt jedenfalls die dynamischen Entwicklungen des Kartellrechts und die Schwierigkeiten, dieses auf einen engen Dezentralisierungsaspekt zu reduzieren.

Zudem darf nicht verkannt werden – und Schrepel verschweigt das auch nicht –, dass die Blockchain-Technologie selbst zur Zentralisierung und damit Marktmachtakkumulation führen kann. Soweit die Blockchain daher als Verfechterin des Dezentralismus ins Feld geführt wird, erinnert dies an die frühen Diskussionen um den Personal Computer. Auch dieser galt einmal als Dezentralisierungsversprechen. Von dort an lässt sich die Geschichte des „personal computings“ anhand von Lehrbruch-Kartellrechtsfällen erzählen: AT&T[5], IBM[6], Microsoft[7], Intel[8], Google[9], Facebook[10] etc. Beim Betrachten von Apples Werbung zum Thema 1984[11] mag sich der ein oder andere, der damals begeistert jubelte, heute bisweilen wünschen, der geworfene Hammer möge sich zum Bumerang entwickeln. Das Autonomie-Postulat, welches Schrepel seiner Definition von Dezentralisierung zugrunde legt, scheint daher eher vom Wunsch getragen zu sein, Blockchain-Netzwerke weitestgehend von staatlicher Intervention freizuhalten.

Der Autor selbst erhebt aufgrund der von ihm postulierten harmonischen Zielidentität der Blockchain-Technologie und des Antitrust-Rechts noch im Vorwort seines Werkes die Forderung nach einer Art praktischen Konkordanz. Es müsse ermittelt werden, welche Konfrontationen „die Blockchain“ oder das Kartellrecht gefährden können, und bestimmt werden, wie diese unter Erhaltung ihrer komplementären Aspekte aufgelöst werden. Code sei schließlich auch „law“. Schrepel blendet dadurch aber die demokratische Legitimation, die Bedeutung der Setzung von Normen für den Rechtsstaat und die allgemeine Wirkung der gesetzgeberischen Normsetzung auch unabhängig von der konkreten Durchsetzung aus. Die Teilhabe an Blockchain-Netzwerken steht zwar theoretisch nahezu jedermann offen. Faktisch beteiligen sich heute aber nur sehr wenige, technologieaffine Menschen an ihr und ihrer Normsetzung. Es fehlt an einem kontrollierenden Gegengewicht, etwa einer Opposition oder Medienkontrolle. Regulierer und Blockchain-Netzwerke begegnen sich daher nicht auf Augenhöhe und die politische und gesellschaftliche Frage der Regulierung geht weit über eine bloße Kosten-Nutzen-Bewertung von (weniger) invasiven Maßnahmen gegenüber neuen Phänomenen wie der Blockchain hinaus. So können viele regulatorische Ausnahmen – auch im Kartellrecht – nicht rein effizienz-basiert erklärt werden, wie beispielsweise die Entscheidung des deutschen Gesetzgebers, kartellrechtliche Sonderregeln für die Presse und gesetzlichen Krankenkassen zu schaffen. Auch die Stimmen aus der Bevölkerung haben Gewicht; auf sie muss die Politik in der ein oder anderen Form reagieren. Regulierungen sind daher häufig deutlich weniger technokratisch als angenommen, sondern nehmen regelmäßig Sonderinteressen und Stimmungen aus der Bevölkerung auf, die dem politischen Wettbewerb geschuldet sind. Man mag das beklagen, kann dies aber aus der Frage der Art und Weise der Regulierung nicht ausklammern, ohne Vorschläge aus dem Elfenbeinturm zu fabrizieren.

Sollte der Autor seine vor die Klammer gezogene Forderung nach praktischer Konkordanz jedoch konkret auf Maßnahmen wie Innovationszentren, regulatorische Sandkästen und Safe Harbors beschränken wollen, dürfte dies nahezu uneingeschränkt konsensfähig sein und wird im Übrigen bereits von der EU-Kommission gelebt, die sich mit entsprechenden Ansätzen im Kontext von Fintechs beschäftigt und eine „Sandbox“ für die Blockchain-Technologie vorbereitet, die spätestens 2022 im Einsatz sein soll.[12]

Weniger praktikabel erscheint Schrepels Vorschlag des Einsatzes von „Futarchic” bei der Durchsetzung von Kartellrecht. Es übersimplifiziert die Prognoseentscheidung in kartellrechtlichen Verfahren. Die ex-post Bewertung einzelner Parameter komplexer ex-ante Bewertungen ist regelmäßig kein Beleg für die Qualität der Entscheidung. Erneut unterschätzt Schrepel die Bedeutung staatlichen Handels, die weit über die Frage hinaus geht, ob eine Entscheidung „falsch“ oder „richtig“ war, sondern auch bereits auf prozessualer Ebene einbeziehen muss, dass sie Vertrauen und Akzeptanz in die Prozesse aber auch Institutionen sichert. So liegt die Stärke eines judikativen Systems nicht in der unerschütterlichen Weisheit und Unfehlbarkeit der Entscheidungsträger (was auch nicht möglich wäre), sondern in der Befriedungsfunktion ihrer Urteile durch Akzeptanz der Teilnehmenden. Diesen Kategorien entziehen sich digitale Wetten auf den Eintritt punktueller Ereignisse. Anders gewendet: regelmäßig zeigen Studien, dass Affen mit Dartpfeilen bessere Investitionsentscheidungen treffen als Fondsmanager.[13] Auch mit „Reputation Token“ dürften die Affen gleichwohl in der Bevölkerung weniger Vertrauen genießen.

Nicht schwerpunktmäßig adressiert werden zudem Nachhaltigkeitsaspekte der Blockchain-Technologie. Wesentlich herauszuheben ist hier der hohe Energiebedarf, sofern der Validierungsmechanismus auf dem „Proof-of-Work“-Konsensmechanismus beruht. Zwar gibt es alternative Konsensmechanismen wie „Proof-of-Stake“, bei der eine ausgewählte Anzahl an Personen die Validierung der Transaktionen in der Blockchain übernimmt. Doch auch diese Alternative ist kein Garant für Nachhaltigkeit, wie die Forscher des University College London (UCL) Centre for Blockchain Technologies aufzeigen.[14] Die Betrachtung vermeintlicher Effizienzgewinne der Blockchain-Technologie im Kontext des Kartellrechts ohne Beachtung der Nachhaltigkeitsfolgen läuft Gefahr, die strukturellen Fehler des Kartellrechts zu wiederholen, die durch eine stärkere Berücksichtigung der Nachhaltigkeitsziele gerade vermieden werden soll. Ein modernes Kartellrecht kann es sich jedoch nicht leisten, sich auf einige wenige Teilaspekte der Effizienzgewinne solcher Technologien zu beschränken, ohne mittelfristig seine Bedeutung einzubüßen.

Obwohl man einigen Prämissen des Werkes daher misstrauisch gegenüberstehen sollte und sich der ein oder andere blinde Fleck nicht verleugnen lässt, gehört die Lektüre zum Pflichtprogramm all derjenigen, die sich entweder für Kartellrecht interessieren oder von Seiten der Blockchain-Community ein besseres Verständnis dafür entwickeln möchten, warum das Kartellrecht einen kritischen Blick auf die Blockchain-Technologie werfen könnte. Durch die übersichtliche Gliederung taugt das Werk auch zum punktuellen Nachschlagen einzelner Themen. Schrepels Schreibstil ist flott und mit vielen Referenzen und „Name-Dropping“ versehen, die die Materie auflockern.

Positiv hervorzuheben ist zudem Schrepels Umgang mit den Quellen, die er sehr transparent darstellt und nicht durch ausschweifende Paraphrasen als eigenes Gedankengut ausgibt. Zwar kann Schrepel seine Begeisterung für den Cyberliberalismus und Staatsskeptizismus nicht verbergen, dennoch verzichtet er auf eine übertriebene Idealisierung der Blockchain-Technologie und warnt davor, prophetisch auf den „Tag X“ zu warten, an welchem „die Blockchain“ eine „Killer-Application“ hervorbringt. Schrepel markiert zudem in aller Regel sprachlich sehr genau, wann er sich auch nach eigener Ansicht weit aus dem Fenster lehnt. Dies kommt so unprätentiös daher, dass es fast wieder in das Gegenteil umschlägt.

Erfreulich ist auch: wer sich für das Werk interessiert muss nicht zwingend seine Bitcoin-Wallet plündern. Denn das Werk wird vom Edward Elgar Verlag als „Open-Access“-Version vertrieben, so dass die einzelnen Kapitel online gelesen oder im PDF-Format heruntergeladen werden können.[15] Daneben ist das Werk als eBook erschienen (ab GBP 25,00).[16] Wer es haptischer mag, kann eine Hardback-Version zum Listenpreis von GBP 95,00 beziehen, wobei der Rezensent ausdrücklich keine Garantie darauf gibt, dass zum Zeitpunkt des Lesens dieses Beitrags ausreichend Papier bzw. LKW-Fahrer verfügbar sind, um eine physische Kopie erwerben zu können.

Insgesamt legt Schrepel hier eine sehr lesenswerte, unterhaltsame Betrachtung der Thematik Blockchain und Kartellrecht vor. Man kann durchaus einen Bitcoin darauf setzen, dass sich „Blockchain + Antitrust“ bei den modernen Klassikern zu Kartellrecht und Digitalisierung einreihen wird. Dem Kartellrecht möchte man trotz oder gerade wegen der Lektüre von Schrepels smarten Buch hinsichtlich seines Verhältnisses zur Blockchain-Technologie zurufen, was auch schon Al Pacino in der Pate II geraten hat: „Halte deine Freunde nah bei dir, aber deine Feinde noch näher“.

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[1]Schrepel, Smart Contracts and the Digital Single Market Through the Lens of a ‚Law + Technology‘ Approach, 21. Oktober 2021, https://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=3947174 (zuletzt abgerufen am 11. November 2021).

[2]  Innovationszentren bieten in der Regel ein spezielles System, über das Unternehmen mit der Aufsichtsbehörde in Kontakt treten können, um Fragen zu stellen und um Klarstellungen oder unverbindliche Leitlinien zu erhalten (siehe Regulatory Sandboxes and Innovation Hubs for FinTech, S. 18).

[3]  Regulatorische Sandkästen ermöglichen eine direkte Testumgebung für innovative Produkte, Dienstleistungen oder Geschäftsmodelle gemäß einem spezifischen Testplan, der in der Regel ein gewisses Maß an regulatorischer Milde mit bestimmten Sicherheitsvorkehrungen kombiniert (siehe Regulatory Sandboxes and Innovation Hubs for FinTech, S. 18).

[4]  Werden, The Foundations of Antitrust, S. 49 f.

[5]  https://economics.yale.edu/sites/default/files/how_antitrust_enforcement.pdf (zuletzt abgerufen am 11. November 2021).

[6]  https://truthonthemarket.com/2020/02/03/the-ghosts-of-antitrust-past-part-2-ibm/ (zuletzt abgerufen am 11. November 2021).

[7]  https://en.wikipedia.org/wiki/United_States_v._Microsoft_Corp (zuletzt abgerufen am 11. November 2021).

[8]  https://ec.europa.eu/competition/elojade/isef/case_details.cfm?proc_code=1_37990 (zuletzt abgerufen am 11. November 2021).

[9]  https://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=249001&pageIndex=0&doclang=en&mode=lst&dir=&occ=first&part=1&cid=40083097 (zuletzt abgerufen am 11. November 2021).

[10]  https://www.bundesgerichtshof.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2020/2020080.html (zuletzt abgerufen am 11. November 2021).

[11]  https://www.youtube.com/watch?v=VtvjbmoDx-I (zuletzt abgerufen am 11. November 2021).

[12]  Regulatory framework for blockchain | Shaping Europe’s digital future (europa.eu) (zuletzt abgerufen am 11. November 2021).

[13]  Siehe beispielsweise https://www.welt.de/finanzen/article115382089/Affen-machen-mehr-Gewinne-als-Investoren.html und https://www.finanzen100.de/finanznachrichten/wirtschaft/wie-schimpansen-mit-dart-pfeilen-zu-den-besten-bankern-der-wall-street-wurden_H1960490147_546306/ (zuletzt abgerufen am 11. November 2021).

[14]  UCL CBT, DLT Environment Impact – What is the energy consumption of the leading PoS DLTs? http://blockchain.cs.ucl.ac.uk/blockchain-energy-consumption/ (zuletzt abgerufen am 11. November 2021).

[15]  https://www.elgaronline.com/view/9781800885523.xml (zuletzt abgerufen am 11. November 2021).

[16]  https://www.e-elgar.com/shop/gbp/blockchain-antitrust-9781800885523.html (zuletzt abgerufen am 11. November 2021).

Titelbild: © Steve Cukrov, via Adobe Stock, #282958603

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