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Die mündliche Verhandlung im Wege der Bild- und Tonübertragung

Plädoyer für ein zweckverwirklichende Auslegung von § 128a ZPO, § 32 Abs. 3 FamFG, § 102a VwGO, § 110a SGG und § 91a FGO – nicht nur in Zeiten der Corona-Pandemie

Dr. Frank Schreiber*

I. Einleitung: „Schlafende“ Normen – und wie wir sie wecken

Gemäß § 128a Abs. 1 ZPO kann das Gericht den Parteien, ihren Bevollmächtigten und Beiständen auf Antrag oder von Amts wegen gestatten, sich während einer mündlichen Verhandlung an einem anderen Ort aufzuhalten und dort Verfahrenshandlungen vorzunehmen. Die Verhandlung wird zeitgleich in Bild und Ton an diesen Ort und in das Sitzungszimmer übertragen. Das Gericht kann nach § 128a Abs. 2 ZPO auf Antrag gestatten, dass sich ein Zeuge, ein Sachverständiger oder eine Partei während einer Vernehmung an einem anderen Ort aufhält. Die Vernehmung wird zeitgleich in Bild und Ton an diesen Ort und in das Sitzungszimmer übertragen. Ist Parteien, Bevollmächtigten und Beiständen nach Absatz 1 Satz 1 gestattet worden, sich an einem anderen Ort aufzuhalten, so wird die Vernehmung auch an diesen Ort übertragen. Die Übertragung wird gemäß § 128a Abs. 3 ZPO nicht aufgezeichnet; Entscheidungen nach Absatz 1 Satz 1 und Absatz 2 Satz 1 sind unanfechtbar. In den öffentlich-rechtlichen Fachgerichtsbarkeiten finden sich im Wesentlichen inhaltsgleiche Normen (§ 102a VwGO, § 110a SGG und § 91a FGO). Nach § 32 Abs. 3 FamFG soll das Gericht die Sache in geeigneten Fällen mit den Beteiligten im Wege der Bild- und Tonübertragung in entsprechender Anwendung des § 128a ZPO erörtern. Im arbeitsgerichtlichen Urteilsverfahren findet § 128a ZPO über § 46 Abs. 1 ArbGG entsprechende Anwendung. Die entsprechenden Vorschriften für den Strafprozess (§§ 58a, 247a, 255a StPO) weisen Besonderheiten auf, die nicht Gegenstand dieses Beitrags sind.

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Mit Ausnahme der Finanzgerichtsbarkeit[1] hat sich wohl noch keine „Gerichtskultur“ der mündlichen Verhandlung im Wege der Bild- und Tonübertragung herausgebildet, Ausnahmen an einzelnen Gerichten[2] bestätigen die Regel.

Warum ist das so? Die folgenden Hypothesen sollen im Laufe dieses Beitrages abgearbeitet werden: Am bedeutsamsten dürften (vermeintliche) technische Hürden und technische Vorbehalte sein. Viele Richterinnen und Richter haben die Vorstellung, dass hierfür ein erheblicher technischer Aufwand nicht nur im Sitzungssaal, sondern auch an dem „anderen Ort“ betrieben werden müsse. Wir haben davon gehört, dass z.B. Finanzämter besondere Videokonferenzräume eingerichtet haben, um die Übertragungen für die Finanzgerichte zu ermöglichen.[3] Früher wurden an einzelnen Gerichten „Digicams“ und „Videowürfel“ angeschafft, wie man die Geräte damals nannte. Dieses Vorverständnis hat uns lange davon abgehalten, neuere Produkte wie Jitsi, Microsoft Teams oder Cisco Webex, die in unserem Dienstnotebook eingebaute Kamera, das für das digitale Diktat gebräuchliche Headset oder das Smartphone bei unserem Anwendungshorizont der Norm gleichsam mitzudenken. Aus der erbitterten Diskussion um justizeigene Netzwerkstrukturen sind zudem Vorbehalte verständlich, sich auf Drittanbieter einzulassen, mit ihren Datenschutz- und Datensicherheitsproblemen. An zweiter Stelle dürften Notwendigkeits- und Routineerwägungen stehen. Den Satz „Ich habe noch nie das Bedürfnis gehabt, mittels Bild- oder Tonübertragung die mündliche Verhandlung durchzuführen“, konnten wir bis zum März 2020 wohl fast alle unterschreiben. Selbst wenn in einem bestimmten Verfahren Schwierigkeiten auftraten, war jedenfalls in der Vergangenheit der Vorbereitungsaufwand abschreckend, wenn man sich nicht gewiss sein konnte, in einem hinreichend ausgestatteten Gericht zu arbeiten. Ein dritter, sehr bedeutender Aspekt – der am Anfang der nachfolgenden Überlegungen steht – dürften restriktive Auslegungsansätze in den Kommentierungen des § 128 ZPO und der Parallelvorschriften sein.


II. Die hinreichende Berücksichtigung des Zweckes bei der Auslegung

1. Entstehungsgeschichte, Zweck und Normstruktur des § 128a Abs. 1 ZPO und seiner Parallelvorschriften

Ihre heutige Fassung erhielten die Vorschriften über die Verhandlung im Wege der Bild- und Tonübertragung durch das Gesetz zur Intensivierung des Einsatzes von Videokonferenztechnik in gerichtlichen und staatsanwaltlichen Verfahren vom 25. April 2013 (BGBl I. S. 935). Die Novellierung, mit der insbesondere das Erfordernis der Zustimmung der Parteien bzw. Beteiligten abgeschafft wurde, dient der Prozessökonomie und der Verfahrensbeschleunigung.[4] Obwohl der Gesetzentwurf neben dem Erfordernis des Einverständnisses die fehlende technische Ausstattung der Gerichte als einen wesentlichen Grund identifiziert[5], warum sich der Einsatz von Videokonferenztechnik noch nicht entscheidend durchgesetzt hat, sahen sich die Entwurfsverfasser erstaunlicherweise genötigt festzustellen, dass die Gerichte keinen Anspruch auf technische Ausstattung aus dem Gesetz herleiten könnten.[6] Dies war angesichts der ursprünglichen Entwurfsfassung vielleicht noch verständlich, in der ein Zulassungsvorbehalt auch durch Rechtsverordnung der Landesregierung vorgesehen war. Nicht mehr verständlich ist, warum auch in der Begründung zur Endfassung ein Ausstattungszwang mit Videokonferenztechnik verneint wurde[7], obwohl nunmehr die Länder nur noch zu einem Moratorium ermächtigt wurden. Solange eine Landesregierung hiervon keinen Gebrauch macht, hat sie als Kehrseite der Vorschrift die nach dem Gesetz erforderlichen Mittel bereitzustellen. Ebenso wenig, wie dem Gericht unter Verweis auf erschöpfte Haushaltsmittel die Beweisaufnahme versagt werden kann, kann dem Gericht, das eine Videokonferenzverhandlung und eine entsprechende Beweisaufnahme anordnet, seitens der Justizverwaltung das Fehlen entsprechender Technik entgegengehalten werden.[8]

Die Normstruktur des § 128a ZPO und seiner Parallelvorschriften erschließt sich nicht auf den ersten Blick und wird auch in der Kommentarliteratur nur unzureichend thematisiert. Insbesondere werden in vielen Kommentierungen Tatbestandsvoraussetzungen und Zweckmäßigkeitserwägungen vermengt. Letztlich stellt die Norm zusätzliche Anforderungen einerseits an die Verfahrensrechtmäßigkeit der Durchführung einer mündlichen Verhandlung,[9] andererseits an die Wirksamkeit von nicht im Gerichtsaal vorgenommen Verfahrenshandlungen. Für beide Varianten gilt, dass sie erst zu prüfen sind, wenn das Gericht durch Beschluss[10] angeordnet hat, dass den Beteiligten gestattet wird, sich während der Verhandlung an einem anderen Ort aufzuhalten und dort Verfahrenshandlungen vorzunehmen.


2. Voraussetzungen für die Durchführung der mündlichen Verhandlung nach Abs. 1

Die Anordnung setzt „lediglich“[11] voraus, dass die Verhandlung zeitgleich in Bild und Ton an den anderen Ort und in das Sitzungszimmer übertragen wird.[12] Insbesondere einer teleologischen Auslegung widersprechen die teilweise angestellten Überlegungen, den „anderen Ort“ eng auszulegen oder weitere ungeschriebene Tatbestandsmerkmale zu fordern.


a) Anderer Ort

Der andere Ort ist ein beliebiger, begrenzt allein durch die Grenzen deutscher Jurisdiktion[13] und die technische Möglichkeit der Übertragung.[14] Angesichts des Wortlauts, der Normstruktur und des Zwecks wäre es verfehlt, als andere Orte von vornherein nur solche zuzulassen, die bestimmte Angemessenheits- oder Würdekriterien erfüllen.[15] Hierbei kann es nicht um die Angemessenheit der Optik des von der Kamera erfassten Hintergrundes im Sinne ästhetischer Erwägungen gehen, die bekanntlich im Auge des Betrachters liegen und damit die Tatbestandsvoraussetzungen hin zur Willkür entgrenzen würden. Warum sollte nicht auch ein aufgeräumter Küchentisch für ein Gericht ein würdiger Ort sein?[16] Derartige Erwägungen sind jedenfalls nicht auf Tatbestandsebene anzustellen. Nutzte eine Partei die Gestaltung des übertragenen Hintergrundes dafür, die Würde des Gerichts oder anderer Prozessbeteiligter anzugreifen (z.B. Aufhängen von Transparenten), so sind sitzungspolizeiliche Maßnahmen angezeigt, z.B. die Androhung der Unterbrechung der Verbindung, wenn sich die Person nicht in eine andere Aufnahmeposition begibt, mit der Konsequenz des Abbruchs der Übertragung als Ultima Ratio.[17] Auch der Rechtsanwalt, der meint, sich aus dem ICE oder der Senator-Lounge über sein Smartphone bei ständig abbrechender Verbindung zuschalten zu können, ist ein Problem, dem durch vorherige Kommunikation oder durch die Ermessensausübung bei der Beschlussfassung („in den Räumen der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten X, Y-Straße, Z“[18]) zu begegnen ist. Einer Eingrenzung des „anderen Orts“ dahingehend, dass die Übertragung nicht an einen „privaten“ Ort erfolgen dürfe[19], fehlt die methodische Grundlage. So stellt sich die Frage, welche „Privatheit“ gemeint ist, wenn unstreitig eine Rechtsanwaltskanzlei ein geeigneter Ort sein soll.[20] Zudem führt eine Übertragung in Privaträume nicht zu einer „Privatisierung“, da im Sitzungszimmer als Ort der Gerichtsöffentlichkeit alle Übertragungen hör- und sichtbar sind. Soweit die Vertreter dieser Auffassung sich auf einen Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 30. April 2004[21] berufen, wurde in dieser Entscheidung kein übertragbarer Rechtsgedanken entwickelt. Dort ging es um die Erörterungsgebühr nach § 31 Abs. 1 Nr. 4 BRAGO beim Vergleichsschluss nach § 278 Abs. 6 ZPO; der mit der Erörterung im Gerichtssaal verbundene Arbeitsaufwand der Prozessvertreter sei – so der Bundesgerichtshof – nicht vergleichbar mit einem Telefongespräch, das ohne räumliche und zeitliche Bindung und dem mit dem Weg zum Gericht verbundenen Zeitaufwand geführt werden könne. Durch § 128a ZPO würde zwar das Erfordernis der körperlichen Präsenz bei einer mündlichen Verhandlung gelockert, doch würden dadurch nicht Gerichtsverhandlungen partiell in den Privatbereich oder in Büros verlegt. Vielmehr sei auch im Falle des § 128a ZPO das Erscheinen der Prozessbeteiligten am Übertragungsort zu der zur Verhandlung bestimmten Zeit erforderlich. Der BGH trifft also eine Aussage über den normativen Gehalt von § 128a ZPO, nämlich, dass § 128a ZPO nicht zu einer „Privatisierung“ der Gerichtsverhandlung führt, er trifft aber keine Aussage über eine notwendige Qualität des anderen Ortes. Maßgeblich ist vielmehr das zeitgleiche Erscheinen.

Der „andere Ort“ dürfen auch „andere Orte“ sein – trotz des Wortlauts.[22] Insbesondere im Anwaltsprozess vor dem Landgericht ist es naheliegend, die Prozessbevollmächtigten aus ihren jeweiligen Kanzleien zuzuschalten. Entsprechendes gilt für Behörden in den öffentlich-rechtlichen Gerichtsbarkeiten.

Unter den gegenwärtigen Bedingungen ist es oft notwendig wie sinnvoll, dass die Beteiligten ihre „Gegenstelle“ zur Übertragung selbst mit ihren „Bordmitteln“ betreiben. Dies begegnet jedenfalls keinen grundsätzlichen verfahrensrechtlichen Bedenken.[23] Unproblematisch ist dies insbesondere bei der Übertragung per Videokonferenzsoftware, bei der der Charme ja gerade darin besteht, dass nur das Gericht Lizenznehmer sein muss und Einladungen per E-Mail verschicken kann, die dann eine Webbrowser-basierte Teilnahme oder ähnlich niedrigschwellige Teilnahmemöglichkeit mit nahezu jedem handelsüblichen Notebook oder Smartphone eröffnet. Die damit einhergehende Gefahr, dass eine Partei den Stream illegal mitschneidet, ist allerdings nicht zu leugnen. Sie ist aber durch eine ausführliche Belehrung vor oder zu Beginn der Sitzung und die Eröffnung der Möglichkeit eines straffreien Rücktritts eingrenzbar.


b) Erfordernisse an der Gerichtsstelle

Für eine verfahrensfehlerfreie mündliche Verhandlung muss „das Gericht“ an der Gerichtsstelle[24] körperlich anwesend sein, da § 128a ZPO und die Parallelvorschriften es nur den Beteiligten, ihren Bevollmächtigen, Zeugen, Sachverständigen und Dolmetschern eröffnen, an einem anderen Ort zu sein. Die Zuschaltung eines Mitglieds des Spruchkörpers aus dem Homeoffice verletzt daher § 128a ZPO als Verfahrensvorschrift und verstößt mit der physischen Abwesenheit gegen die Vorschriften über die vorschriftsmäßige Besetzung des Gerichts. Mit § 114 ArbGG und § 211 SGG[25] wurde für die Zeit der Pandemie eine derartige Möglichkeit für die ehrenamtlichen Richterinnen und Richter der Arbeits- und Sozialgerichtsbarkeit sowie für Beratungen per Videokonferenz bei Entscheidungen ohne mündliche Verhandlung geschaffen.

Ebenso wie die Übertragung an den anderen Ort müssen die Bild- und Tonübertragungen der anderen Orte im Gerichtssaal zeitgleich optisch und akustisch wahrnehmbar sein. Über die Merkmale „Bild“, „Ton“, „zeitgleich“ und „übertragen“ hinaus formulieren weder § 128a ZPO noch untergesetzliches Regelwerk konkrete technische Anforderungen. Aus den Prozessgrundsätzen wie auch aus Sinn und Zweck der Norm können aber Mindestanforderungen abgeleitet werden (siehe II. 3 und III.1.).

Die Gerichtsstelle ist der alleinige Ort, an dem die Öffentlichkeit nach § 169 GVG herzustellen ist.[26] Nach einer verbreiteten Ansicht soll es hinreichend sein, wenn die Öffentlichkeit nur die Möglichkeit hat, per Ton der Kommunikation vom anderen Ort zu folgen.[27] Diese Differenzierung überzeugt nicht. Zwar müssen Bild und Ton nicht von jedem Platz, der der Öffentlichkeit eingeräumt wird, sichtbar und verständlich sein.[28] Wird der Öffentlichkeit aber von vornherein jegliche Möglichkeit genommen, das Agieren der am anderen Ort befindlichen Partei optisch wahrzunehmen, so kann der Zweck der Herstellung von Öffentlichkeit tangiert werden, weil z.B. Reaktionen des Gerichts auf non-verbale Kommunikation der abwesenden Beteiligten von vornherein nicht verstanden werden können.

Ob die Justizverwaltung bei der Bereitstellung der Videokonferenztechnik ihrerseits alle Vorschriften des Datenschutzrechts und der rechtlichen Vorgaben an die Datensicherheit einhält, ist ersichtlich nicht auf Tatbestandsseite zu prüfen. Das Gericht muss sich insoweit darauf verlassen können, dass die Gerichtsverwaltung die Rechtsprechungsressourcen rechtskonform zur Verfügung stellt. Allerdings kann sich im Rahmen der Ermessensausübung diese Frage stellen[29], insbesondere wenn das Gericht bösgläubig ist.


3. Überlegungen zur Ermessensausübung und zur Beweisaufnahme nach Abs. 2

Nach alledem bestehen die Probleme nicht auf Tatbestandsseite, sondern in der Ermessensausübung.[30] Allein aus pragmatischen Gründen ist eine Prognose anzustellen, ob die mündliche Verhandlung per Videokonferenz auch im Übrigen verfahrensfehlerfrei gelingen kann. Herausforderungen liegen hier vor allem in Beweisrecht. Prütting hat am Beispiel des Zeugenbeweises aber auch auf eine Ambivalenz hingewiesen: „Ein Problem könnte entstehen, wenn der Richter durch den Einsatz einer Videokonferenz Einzelheiten der Körpersprache, die Art Sprechens sowie bestimmte Detailreaktionen nicht wahrnehmen könnte. Es dürfte nämlich auch künftig leichter sein, wahrheitswidrige Behauptungen in eine Kamera als direkt in das Gesicht des Richters formulieren. Dem wird heute aufgrund US-amerikanischer Erfahrungen entgegengehalten, dass der Richter einen Zeugen im Rahmen einer Videokonferenz eher genauer und umfassender in den Blick nehmen kann als bei einer unmittelbaren Gegenüberstellung.“[31]

In die Ermessensausübung sind neben den unmittelbar aus § 128a ZPO folgenden Zwecken der Prozessökonomie und Verfahrensbeschleunigung insbesondere die Effektivität des Rechtsschutzes und die Wahrung der Verfahrensrechte der Beteiligten einzustellen. Unter den Bedingungen der Pandemie sind die Alternativen zur Videokonferenz die Nichtentscheidung, die Entscheidung im schriftlichen Verfahren oder eine Entscheidung auf schlechterer Tatsachengrundlage z.B. unter Verzicht auf eine Anhörung.[32] Hier streiten mit hohem Gewicht bei der Abwägung die Rechtspositionen der Beteiligten[33] gerade für eine Erörterung oder mündliche Verhandlung per Videokonferenz. Vor diesem Hintergrund wäre es befremdlich, wenn Richterinnen und Richter unter pauschaler Ablehnung der vorhandenen Möglichkeiten, nach § 128a ZPO zu verhandeln, die Beteiligten z.B. mehr oder weniger dazu nötigen, einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zuzustimmen.

Bei einer Beweisaufnahme dürfte die Vernehmung eines Zeugen per Videokonferenz gegenüber der konsularischen Vernehmung oder der Vernehmung durch den beauftragten oder ersuchten Richter regelmäßig vorzugswürdig sein.[34]

 

III. Die praktische Umsetzung

1. Ein Schlaglicht auf die Ausstattung der Gerichte und die Anforderungen des Gesetzes

a) Der Innovationsschub an den Gerichten durch die COVID19-Pandemie

Die Gerichte, die schon seit langem eine in einem Sitzungssaal installierte Videokonferenzanlage besitzen (sog. „Hardware-Lösung“), nutzen diese jetzt intensiver als bislang. In den nordrhein-westfälischen Medien wurde jüngst über die Initiative zweier Kammervorsitzenden des LG Düsseldorf berichtet[35], die vorhandene Anlage jetzt verstärkt auch in Zivilverfahren zu nutzen. Diese klassischen Videokonferenzanlagen haben die Vorteile der Datensicherheit und des Datenschutzes auf ihrer Seite. Die Teilnehmenden rufen die feste IP-Adresse der Anlage auf, dann erfolgt der Datenaustausch zwischen den Anlagen nach einem besonderen Videokonferenzprotokoll.[36] Der Nachteil lag in der Vergangenheit auf der Hand: Es muss eine kompatible Videokonferenzanlage am Ort der Beteiligten oder des Zeugen stehen. Aber auch dieser frühere Nachteil scheint gelöst: Für neuere Anlagen des Herstellers Polycom bzw. Anlagen, die die Standards SIP / H.323 erfüllen, besteht die Möglichkeit, per Software-Emulation z.B. vom Notebook aus teilzunehmen.[37]

Beliebig skalierbar wird die Möglichkeit, nach § 128a ZPO zu verhandeln, durch den Rückgriff auf standardisierte Videokonferenzsoftware wie Cisco Webex oder Skype for Business. Beteiligte und Rechtsanwältinnen und -anwälte erhalten per E-Mail einen Link, der sie – ggf. nach Installation einer lizenzfreien WebApp – mit der Videokonferenz verbindet; dies ist die „Software-Lösung“.[38]

Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 23. April 2020 erstmals eine mündliche Verhandlung nach § 128a ZPO durchgeführt. Hierzu wurde nach einem Blogeintrag eines Mitglieds des X. Zivilsenats[39] kurzfristig die Möglichkeit geschaffen, Videokonferenzen mit Microsoft Teams durchzuführen. Die Klägerin und die Beklagte waren je durch einen Rechtsanwalt und einen Patentanwalt vor Ort vertreten. Weitere Patentanwälte, die technischen Beistände der Parteien sowie zwei Simultandolmetscher waren über die Videokonferenz zugeschaltet.

In Hessen wurde im Mai 2020 in allen Gerichtsbarkeiten damit begonnen, die Richterinnen und Richter mit Lizenzen für die Software Hessen Connect[40] auszustatten. Dieses Produkt basiert auf Skype for Business, hat aber datensicherheits- und datenschutzrechtliche Vorteile gegenüber dem normalen Cloud-Produkt, da es nach Angaben der Hessischen Zentrale für Datenverarbeitung auf einem von ihr verantworteten Server betrieben wird. Der IT-Referent der hessischen Sozialgerichtsbarkeit, Henning Müller, erläuterte die Notwendigkeit solcher Lösungen, auch angesichts der verlockenden, vor allem gegenwärtig (vermeintlich) kostenlosen Angebote der Videokonferenzanbieter so: „Die Hoheit über die Video- und Tondaten der Sitzung ist selbstverständlich rechtlich aus Datenschutzgründen wichtig, aber auch wesentlich für die Akzeptanz von Videokonferenzen bei Richterinnen und Richtern, sowie den Verfahrensbeteiligten. Wenn die Hostserver im Zugriff der Justiz stehen, kann die Justiz den Umgang mit den Daten auch kontrollieren – in Hessen bspw. über die IT-Kontrollkommission, eine richterlich besetzte Daten-Kontrollinstanz, die vor den Richterdienstgerichten in der sog. ‚Netzklage‘ erstritten wurde und deren Existenz unmittelbar mit der richterlichen Unabhängigkeit zusammenhängt. Zudem muss beachtet werden, dass nicht ohne Grund die Fernsehübertragung aus dem Gerichtssaal vom GVG nicht erlaubt wird – ganz faktisch verhält man sich anders, wenn man vor einem unbekannten, unkontrollierbaren Publikum im Internet spricht, als wenn man die Zuhörerschaft eng eingrenzen kann und alle Beteiligten auch wirklich ‚sehen‘ kann. Das ist ja auch der Grund, warum vom Gesetz immer nur Bild- und Tonübertragungen vorgesehen sind, keine reinen Telefonkonferenzen. Hierfür ist es auch wichtig, dass die Videokonferenzdaten nicht ohne Kontrolle auf privaten Servern gespeichert bleiben.“ Ein partielles Nutzungshindernis für die Softwarelösungen besteht darin, dass insbesondere Behördenvertreter keine Administratorenrechte an ihren Dienstcomputern besitzen. Die für die Nutzung von Skype for Business notwendige Web-App kann dann nicht installiert werden. Allerdings werden in Hessen auch vermehrt Behörden mit Skype for Business-Lizenzen ausgestattet, so dass es sich um ein vorübergehendes Problem handeln dürfte.

Baden-Württemberg[41] scheint jedenfalls für die ordentliche Gerichtsbarkeit den Weg „Best of Both Worlds“ zu gehen: Dort können die Richterinnen und Richter flächendeckend den Cloud-Dienst Cisco Webex nutzen. Die Landgerichte und Oberlandesgerichte sowie einige Amtsgerichte sind mit Videokonferenzanlagen von Polycom ausgestattet. Dieses System ermöglich auch das Zusammenschalten von mehreren Gerichtssälen, Sälen und Besprechungsräumen etc. und wird im Hintergrund von der Landesoberbehörde für IT administriert. Seit Beginn der Pandemie hat die BITBW die Nutzung des Rückgrats dieses Systems auch per Mobile Client freigeschaltet, so dass jede Richterin und jeder Richter in Baden-Württemberg das System von seinem Dienstrechner aus nutzen kann, auch ohne den speziell ausgestatteten Saal nutzen zu müssen.


b) Ein verfahrensrechtskonforme Softwarelösung am hessischen Beispiel

Was ist ein verfahrensrechtskonformer technischer Mindeststandard angesichts der neueren Softwarelösungen? Die Kommentarliteratur hat sich jenseits strenger Überlegungen zum Datenschutzrecht hiermit noch nicht im Detail in Wahrnehmung des Standes der Technik befasst.

Ein Beispiel aus der Sozialgerichtsbarkeit in Hessen beim Einsatz von Hessen Connect bzw. Skype for Business: Mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung wurde den Beteiligten folgende Ausstattung im Gerichtssaal mitgeteilt: Im Sitzungssaal wird (1.) an einem PC eine Kamera und ein Raummikrophon mit einer möglichst weitgehenden Erfassung des Sitzungszimmers angeschlossen, (2.) auf der Richterbank steht ein Notebook mit einer weiteren Kamera und einem Mikrophon sowie (3.) für alle Anwesenden einschließlich der Öffentlichkeit wird ein Großbildschirm mit Lautsprecher aufgestellt. Den Beteiligten wurde eine Anleitung zugeschickt, wie sie ihrerseits mit ihrem Notebook mit Kamera und Mikrophon bzw. Smartphone die Verbindung aufbauen können. Weiterhin wurde ihnen mitgeteilt, dass ein vorheriger „Probelauf“, ob eine stabile Verbindung aufgebaut werden kann, nach individuelle telefonischer Vereinbarung in der Woche vor der Sitzung möglich ist.

Die Lösung mit zwei Kameras stellt sicher, dass mit der ersten Kamera stets die gesamte Richterbank übertragen wird und mit der zweiten Kamera hinreichend genaue Details, sei es von der Richterbank oder einem Beteiligten bzw. Zeugen im Saal erfasst werden. Eine Mindestanforderung dürfte nämlich sein, dass sich die am anderen Ort befindlichen Personen stets von der korrekten Besetzung des Gerichts überzeugen können müssen; Mikrophon als auch Kamera müssen daher sämtliche Verfahrensbeteiligten und die vollständige Kammer erfassen. [42] Ein automatisierter Wechsel des Bildes auf die jeweils sprechende Person dürfte bei nur einer Kamera vor diesem Hintergrund problematisch sein und ist jedenfalls dann nicht zu fordern[43], wenn zwei Kameras vorhanden sind und mit einem Klick jede(r) Beteiligte selbst Regisseur(in) sein kann, um die optimale Auswahl zwischen den Kameras zu treffen. Werden die Geräte richtig ausgerichtet, so könnte eine mündliche Verhandlung auch bei Anwesenheit eines Beteiligten im Sitzungssaal mit der Minimalausstattung von zwei Notebooks mit eingebauten Kameras und Mikrophonen durchgeführt werden. Zudem minimieren zwei Rechner das Risiko, wegen einer hardwarebedingten Störung der Bild- und/oder Tonübertragung die Verhandlung wiederholen oder abbrechen zu müssen.[44] Mit der Einladung zum Test kann vermieden werden, dass eine Vertagung notwendig wird, weil die Bild- und Tonübertragung an eine Partei von ihr unverschuldet scheitert.


2. „Bring Your Own Device“ (BYOD) – Eine Übergangslösung?

Was spricht dagegen, an einem unzureichend ausgestatteten Gericht diese Ausstattung mit einem privaten Notebook, einem Tablet und dem eigenen Smartphone zur Erzeugung eines mobilen W-LAN Hotspots nachzubauen?

Unabhängig von § 128a ZPO, der jedenfalls tatbestandlich BYOD nicht entgegensteht[45] (s.o.), sollten mindestens drei Ebenen geprüft werden, um nicht anderweitige Rechtsverstöße zu begehen, die letztlich auch für die Ermessensausübung relevant sein dürften, nämlich Lizenzrecht, Datenschutzrecht und Dienstrecht.

Zum Lizenzrecht: Nur wenige Plattformen gestatten gegenwärtig die berufliche Nutzung ihrer Software unentgeltlich. Wer seine private App nutzt, um zur Videokonferenz einzuladen, kann also einen Lizenzverstoß begehen.

Zum Datenschutzrecht: Einige Videokonferenzsoftwareprodukte insbesondere aus den Vereinigten Staaten genügen nicht den Anforderungen der DSGVO. Auch die Richterin oder der Richter, der zur Nutzung eines nicht DSGVO-konformen Produkts einlädt, kann u.U. für die Verarbeitung „Verantwortlicher“ sein.[46]

Zum Dienstrecht: In vielen Bundesländern gibt es EDV-Dienstanweisungen oder IT-Dienstvereinbarungen, die BYOD in bestimmtem Umfang oder vollständig untersagen.

Bereits diese Skizze zeigt, dass BYOD jedenfalls in größerem Umfang keine Übergangslösung darstellt. Unproblematisch dürfte es vorbehaltlich der dienstrechtlichen Ebene sein, eine Webcam, ein Headset oder einen Monitor mitzubringen, um eine vorhandene dienstliche Ausrüstung aufzustocken.


IV. Fazit, Ausblick und Caveat: Was wird aus dem Gericht als Ort?

Gegenwärtig werden in vielen Bundesländern die Hard- und Softwarevoraussetzungen geschaffen, um flächendeckend per Videokonferenz zu verhandeln. Insbesondere durch an Justizerfordernisse angepasste Dienste z.B. auf der Basis von Skype for Business ist dies schnell und kostengünstig möglich. Die Videokonferenzverhandlung ist in Zeiten der Covid19-Pandemie nicht nur im Lichte des Gesetzeszwecks der Verfahrensbeschleunigung und Prozessökonomie sinnvoll. Sie ist das Mittel der Wahl zur Verwirklichung der Verfahrensrechte der Beteiligten, wenn die Alternativen in der Nichtentscheidung (das Abwarten besserer Zeiten) oder der verfassungswidrigen Überdehnung der Möglichkeit, ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden, bestünden.

Zu dieser anlassbedingten Mikroperspektive bedarf es einer Ergänzung auf der Meso-, oder Makroebene: Die Digitalisierung der mündlichen Verhandlung ist nur ein Element der Digitalisierung der Justiz.[47] Wie lässt sich die Videokonferenzverhandlung mit den sonstigen Elementen der Digitalisierung der Justiz kohärent in einer Weise verbinden, dass am Ende eine bessere Justiz steht – und nicht Wichtiges von dem verloren geht, was wir heute unter den Bedingungen für eine qualitativ gut arbeitende Justiz verstehen?

Weltweit wird darüber gegenwärtig sehr fortschrittsoptimistisch nachgedacht[48]: So könnte es eine erhebliche Erleichterung des Zugangs zur Justiz sein, wenn z.B. die Landwirtin in einem afrikanischen Staat einen Zivilprozess über eine mangelhaft gelieferte Wasserpumpe formularunterstützt via Smartphone führen könnte und auch für die mündliche Verhandlung nicht eine Tagesreise mit Übernachtung antreten müsste, sondern per Videokonferenz ihren Antrag stellen könnte. Welchen Beitrag die Digitalisierung für den „Access to Justice“ liefern kann, soll hier nicht bewertet werden. Das Beispiel zeigt aber, dass die eine oder andere Pfadabhängigkeit der Justizmodernisierungsdiskussionen der letzten Jahrzehnte überwunden werden muss.

Diese Überlegungen führen wieder einmal zur zugespitzten Frage: Ist das Gericht ein Ort oder eine Dienstleistung?[49] Digitalisierung macht den Ort des Gerichtsgebäudes für das Verfahren und den „Output“ richterlicher Arbeit erst einmal unwichtiger. Aber was verliert die Justiz durch eine konsequent weitergedachte Virtualisierung? Wir wissen aus der Mediationslehre und aus der Vernehmungslehre, wie wichtig das Setting in physischer Präsenz für die Verhandlung ist. Das Gerichtsgebäude mahnt allein durch sein Dasein die Verwirklichung des Rechtsstaates an. Es ist ein Ort der Begegnung der juristischen Professionen, nicht nur zu den üblichen „Geschäftszeiten“, sondern auch bei der Abendveranstaltung der örtlichen juristischen Gesellschaft oder bei der Vernissage zur neuen Ausstellung in den Gerichtsfluren. Und: Ist nicht die beste Fortbildung das kollegiale Gespräch beim Mittagessen? Wo bleiben die zufälligen Begegnungen, die etwas anstoßen, wenn alle im Homeoffice sitzen? Es zeigt sich: Die Justiz darf sich beim Verlassen ausgetretener Pfade nicht von der Digitalisierung als Sachzwang oder materielles Paradigma leiten lassen – der Mehrwert aus einer Gesamtperspektive ist entscheidend.

Und so gelangen wir zurück zum Thema: Die Videokonferenzverhandlung ist ein Instrument, mit dem der Werkzeugkasten ergänzt wird, sie ist weder ein „Schweizer Taschenmesser“ noch ein Rationalisierungsinstrument! Wenn wir ansonsten Rechtsverweigerung betreiben oder verspätetes Recht liefern würden, bewirkt die mündliche Verhandlung mit Videokonferenztechnik eine Verbesserung des Rechtsschutzes. Gleiches gilt, wenn wir Beweisaufnahmen gar nicht oder nur im Wege der klassischen Rechtshilfe oder des Ersuchens mit allen Mängeln durchführen könnten. Würde eine solche Technik hingegen zum Vorwand genommen, um den Gerichtssaal als im Regelfall optimalem Ort der Kommunikation mit allen Sinnen zu beseitigen, würde den Rechtssuchenden effektiver Rechtsschutz genommen.

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* Der Verfasser ist Richter am Hessischen Landessozialgericht in Darmstadt. Der Beitrag ist auch in Heft 142 (Juni 2020) der Zeitschrift „Betrifft JUSTIZ“ erschienen.

[1]  Vgl. bereits Seibel, AO-StB 2001, 147; Schaumburg, ZRP 2002, 313; zum Stand aus der Sicht der Finanzverwaltung in Hessen seit 2017 siehe Verfügung der Oberfinanzdirektion Frankfurt am Main, 10.7.2017, FG 2026 A-006-St 21, FMNR3f7310017, in juris im Volltext vorhanden. Zu Brandenburg siehe BeckOK-ZPO/von Selle (Stand 1.3.2020), § 128a Rn 2.1.

[2]  Siehe bereits das Projekt „Virtuelles Verwaltungsgericht Sigmaringen“, Heckel, VBlBW 2001, 1; vgl. auch den Erfahrungsbericht aus dem Januar 2019 (https://www.zpoblog.de/gerichtsverhandlung-skype-erfahrungsbericht-muendliche-verhandlung-im-wege-der-bild-und-tonuebertragung-%c2%a7-128a-zpo/), wonach die dortige Vorsitzende damals schon 45 Verhandlungen per Videokonferenz geführt hat. Das AG Frankfurt am Main verhandelt per Videokonferenzanlage seit 2019 verstärkt Verfahren, bei denen Passagiere ihre Ansprüche nach der EU-Fluggastrechte-Verordnung gegen Fluggesellschaften geltend machen.

[3]  In Hessen haben (Stand 2017) die Steuerberaterkammer Frankfurt, das Finanzamt Frankfurt am Main II, das Finanzamt Darmstadt, das Finanzamt Fulda, das Finanzamt Gießen und das Finanzamt Wiesbaden II Videokonferenzanlagen, die meisten davon bereits vor 2014. Das Hessische Finanzgericht verfügt seit ca. 2014 in allen Sitzungssälen über die Technik (siehe Fn. 1).

[4]  BT-Drs. 14/6036, S. 116, 119; BT-Drs. 17/1224, S. 1; MüKo-ZPO/Fritsche, 5. Aufl. 2016, § 128a Rn. 1 und 10.

[5]  BT-Drs. 17/1224, S. 1

[6]  Vgl. BT-Drs. 17/1224, S. 3.

[7]  BT-Drs. 17/12418, S. 17.

[8]  BeckOK-ZPO/von Selle (Stand 1.3.2020), § 128a Rn 2.2.

[9]  So wohl auch Anders in: Baumbach/Lauterbach/Hartmann/Anders/Gehle, ZPO, 78. Aufl., § 128a Rn. 8.; vgl. auch das Beispiel zu § 91a FGO a.F. bei Schaumburg, ZRP 2002, 313 (314).

[10]  Zöller/Greger, ZPO, 33. Aufl. 2020, § 128a Rn. 3.

[11]  Die Probleme liegen im Faktischen, nicht im Prozessrecht. Dazu unten III.1.

[12] Zschieschack, in: Schmidt, COVID-19, Rechtsfragen zur Corona-Krise, 2020, § 13 Rn.83.

[13]  Zu diesen Grenzen und den erheblichen Erleichterungen innerhalb der Europäischen Union siehe BeckOK-ZPO/von Selle (Stand 1.3.2020), § 128a Rn 16 m.w.N.; zum EU-Prozessrecht (Art. 10 und 17 EUBeweisVO) siehe von Hein in: Rauscher, Europäisches Zivilprozess- und Kollisionsrecht, 4. Aufl. 2015, Artikel 1: EG-BewVO Rn. 22; Sturm/Schulz, ZRP 2019, 71. Zur Rechtslage in den öffentlich-rechtlichen Fachgerichtsbarkeiten siehe Leopold, NZS 2013, 847 (849).

[14]Schultzky, NJW 2003, 313 (314); Sodan/Ziekow/Dolderer, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 102a Rn. 18; vgl. Musielak/Stadler, ZPO, 17. Aufl. 2020, § 128a Rn. 2.

[15]  So aber Ulrich, in: Schoch/Schneider/Bier, § 102a VwGO Rn. 29; Stäbler in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG (Stand 21.3.2019), § 110a Rn. 16; ebenfalls zu eng, aber das Problem zutreffend auf der Ermessensseite verortend: Böttiger, WzS 2013, 263 (266).

[16]  Vorsicht Homonym!

[17]  BeckOK-ZPO/von Selle (Stand 1.3.2020), § 128a Rn. 9.

[18]  Nach BeckOK-ZPO/von Selle (Stand 1.3.2020), § 128a Rn. 6 ist im gestattenden Beschluss immer auch der andere Ort zu bestimmen; offener Zöller/Greger, ZPO, 33. Aufl. 2020, § 128a Rn. 4: „mitteilen“.

[19]  So aber Schmidt in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl. 2017, § 110a Rn. 7; tendenziell auch Stäbler in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG (Stand 21.3.2019), § 110a Rn. 16; Zöller/Greger, ZPO, 33. Aufl. 2020, § 128a Rn. 4.

[20]  So ausdrücklich Zöller/Greger, ZPO, 33. Aufl. 2020, § 128a Rn. 4.

[21]  BGH, NJW 2004, 2311 (2312).

[22]  MüKo-ZPO/Fritsche, 5. Aufl. 2016, § 128a Rn. 4; Stäbler in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG (Stand 21.3.2019), § 110a Rn. 17. Leopold, NZS 2013, 847 (849) m.w.N.

[23] Leopold, NZS 2013, 847 (848); krit. wohl Zöller/Greger, ZPO, 33. Aufl. 2020, § 128a Rn. 4.

[24]  Zu den Grenzen der Verlagerung des Terminsortes siehe Lorenz, MDR 2016, 956 (958).

[25]  BGBl. I, S. 1055 vom 28. Mai 2020, in Kraft seit 29. Mai 2020; siehe auch zur Entstehungsgeschichte Art. 2 ff. des Entwurfs eines Gesetzes zu sozialen Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie (Sozialschutz-Paket II), BT-Drs. 19/18966 vom 5. Mai 2020.

[26]  Schultzky, NJW 2003, 313 (317); Zöller/Greger, ZPO, 33. Aufl. 2020, § 128a Rn. 6.

[27] Zöller/Greger, ZPO, 33. Aufl. 2020, § 128a Rn. 6; Musielak/Stadler, ZPO, 17. Aufl. 2020, § 128a Rn. 2a; a.A. Glunz, Psychologische Effekte beim gerichtlichen Einsatz von Videotechnik, 2012, S. 326.

[28]  Allgemein Kissel/Mayer, GVG, 9. Auflage 2018, § 169 Rn. 52.

[29]  BeckOK-VwGO/Schild, § 102 Rn. 10 stellt hier strenge Anforderungen an die Ermessensausübung. Als Verfahrensfehler dürfte eine datenschutzwidrige Durchführung kaum mit Erfolg zu rügen sein. Dies gilt insbesondere für die Beweisaufnahme: Bei einer rein technisch einwandfreien Beweisaufnahme im Wege der datenschutzrechtswidrigen Videoübertragung beruht das Urteil nicht auf dem Datenschutzverstoß, weil die Beweisaufnahme im Sitzungssaal genauso verlaufen wäre. Unabhängig davon ist das Sanktionsinstrumentarium der DSGVO anwendbar.

[30]  Die folgenden Ausführungen zum richterlichen Ermessen meinen hier die Handlungsnormperspektive, nicht die Kontrollperspektive des Revisionsgerichts; vgl. Schreiber, Steuerungs- und governancetheoretisch inspirierte Prozessrechtswissenschaft.LOEWE-Schwerpunkt »Außergerichtliche und gerichtliche Konfliktlösung« – working paper Nr. 19, 2015. https://publikationen.ub.uni-frankfurt.de/frontdoor/index/index/docId/33416

[31] Prütting, AnwBl. 2013 ,330 (332).

[32]  Dieser Gesichtspunkt wird gegenwärtig bei der familiengerichtlichen Diskussion um Erörterungstermine in Kindschaftssachen und notwendige persönliche Anhörungen nicht immer hinreichend berücksichtigt. Zu dieser Diskussion siehe Lack, NJW 2020, 1255 (1256), die allzu kategorisch Videotelefonie als „ nicht angemessen“ ablehnt, vgl. die gegensätzlichen Beiträge von Grotkopp, Socha und Köbler in den FamRZ-Newslettern zum Thema „Corona-Krise und persönliche Anhörungen“ https://www.famrz.de/redaktionsmeldungen/corona-krise-und-pers%C3%B6nliche-anh%C3%B6rungen.html.

Klärungsbedürftig erscheint allerdings die umstrittene Frage, ob es am Maßstab von §§ 319 Abs. 3, 34 FamFG an einer Rechtsgrundlage zur persönliche Anhörung per Videokonferenz fehlt, so LG Freiburg (Breisgau) 4. Zivilkammer, 30. April 2020, 4 T 82/20; a.A. LG Darmstadt, Beschl. v. 22. April 2020 – 5 T 229/20 –, juris Rn. 14.

[33]  So ist bei einem behinderten Menschen Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG in die Abwägung einzustellen, regelmäßig hieraus folgt aber keine Ermessensreduzierung auf Null im Sinne eines Anspruchs auf Teilnahme per Videokonferenz, vgl. BVerfG, Beschl. v. 27.11.2018 – 1 BvR 957/18 –.

[34]  BPatG, Beschl. v. 16.7.2002 – 23 W (pat) 32/98.

[35]  https://www.lg-duesseldorf.nrw.de/behoerde/presse/Pressemitteilungen-2020/index.php.

[36]  Zum Stand der Technik zu Beginn des Jahrtausends Borchert, CR 2002, 854; Seibel, AO-StB 2001, 147; solche Anlagen sind immer noch im Einsatz.

[37]  Siehe den Erfahrungsbericht von Rechtsanwalt Nikolaus Rehart auf twitter https://twitter.com/RA_Rehart/status/1258334813544755201.

[38]  Insgesamt zum aktuellen Stand in den Bundesländern https://www.zpoblog.de/verhandlungen-im-wege-der-bild-und-tonuebertragung-gem-%c2%a7-128a-zpo-skype-webex-polycom/.

[39]  Bacher, https://blog.otto-schmidt.de/mdr/2020/04/24/montagsblog-174/.

[40]  https://hzd.hessen.de/hessenconnect.

[41]  Für die nachfolgenden Hinweise zu Baden-Württemberg dankt der Verfasser RiLG Jan Spoenle. Vgl. auch Mantz/Spoenle, MDR 2020, 637 (640 f.).

[42]  Im Ergebnis wie hier: Böttiger, WzS 2013, 263 (268). Lorenz, MDR 2016, 956 (957); Oltmanns/Fuhlrott, DB 2020, 841 (842).

[43]  Offenbar a.A. Oltmanns/Fuhlrott, DB 2020, 841 (842).

[44]  Zum Maßstab siehe Kühnen, EFG 2014, 2062.

[45]  Hinsichtlich des Smartphones befürwortend: Zschieschack, in: Schmidt, COVID-19, Rechtsfragen zur Corona-Krise, 2020, § 13 Rn.83.

[46]  Vgl. zur Rechtslage vor Inkrafttreten der DSGVO: EuGH, Urt.. v. 5. Juni 2018 – Rs. C-210/16 – Wirtschaftsakademie Schleswig-Holstein, zur Problematik einer Facebook-Seite.

[47]  Insbesondere: Susskind, Online Courts And The Future Of Justice, 2019, (passim); Voß, RabelsZ 84 (2020), 62; zur wissenschaftlichen Diskussion in Deutschland: Paschke, MMR 2019, 563.

[48]  Vgl. die Buchpräsentation und Diskussionsveranstaltung der Harvard Law School vom 23. April 2020 https://www.youtube.com/watch?v=QOS4LRf-zes&feature=youtu.be; siehe auch https://remotecourts.org.

[49]  Susskind, Online Courts And The Future Of Justice, 2019, p. 95 ff. Vgl. auch die Überlegungen eines anonym schreibenden neuseeländischen Richters: https://theitcountreyjustice.wordpress.com/2020/04/06/justice-in-the-rear-view-mirror/.

Titelbild: © Claudia Otto

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