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Die vierte Säule des Kartellrechts: präventive Verhaltenskontrolle

Antitrust’s future is not near, it’s here

Dr. Kim Manuel Künstner

Wer in den letzten Jahrzehnten das Vergnügen hatte, sich im Studium, der Ausbildung oder im Rahmen einer Compliance-Schulung mit dem Kartellrecht auseinanderzusetzen, kennt das Drei-Säulen-Modell, auf welchem das Kartellrecht beruht: Das Verbot wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen (Kartellverbot; § 1 GWB, Art. 101 AEUV), das Verbot des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung (§§ 19, 20 GWB, Art. 102 AEUV) und die Fusionskontrolle (§§ 35 ff. GWB, FKVO).[1] Lange Zeit war man davon ausgegangen, diese drei Säulen seien ausreichend, um die Entstehung kritischer Marktstrukturen oder zumindest das missbräuchliche Ausnutzen solcher Marktstrukturen zu verhindern. Diese Vorstellung ist spätestens mit der Entstehung und Ausbreitung der digitalen Märkte und ihren besonderen Charakteristika ins Schwanken geraten. Damit das Schwanken nicht zu einem Einsturz führt, werden die Rufe nach einer vierten Säule des Kartellrechts lauter: die präventive Verhaltenskontrolle.

Der folgende Beitrag skizziert die wettbewerbspolitischen Herausforderungen und derzeitigen Unzulänglichkeiten der bestehenden Kartellrechtssäulen im Hinblick auf die Herausforderungen durch digitale Märkte sowie die bisherigen Entwicklungen hin zu einer vierten Säule des Kartellrechts.

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Strukturelle Merkmale digitaler Märkte als Herausforderungen des Kartellrechts

Als wesentlicher Treiber für die Notwendigkeit einer weiteren Säule des Kartellrechts werden die spezifischen Charakteristika digitaler Märkte genannt. Maßgeblich sind insoweit insbesondere die folgenden Aspekte:

Der Digitalsektor ist geprägt von erheblichen Skalenerträgen, d.h. die Kosten für die Herstellung digitaler Produkte und Services sind weit weniger als proportional zur Anzahl der bedienten Kunden.[2] Laut Eigendarstellung von Facebook, benötigte der Konzern im September 2018 lediglich einen Mitarbeiter für monatlich 65.000 Nutzer.[3] Hersteller sehen sich auch anders als in der klassischen Güterindustrie keinen Kapazitätsgrenzen gegenüber, die ihre Marktabdeckung begrenzen und Konkurrenten eine Eintrittschance bieten könnten. Es fehlt auch quasi vollständig an Standortvorteilen, die beispielsweise für Verbraucher bei der Auswahl unter mehreren, konkurrierenden Ladenlokalen maßgeblich sein können. Das häufig als prokompetitive eingestufte Argument, der Wettbewerb sei im Internet nur einen Klick entfernt, spiegelt sich im praktischen Nutzerverhalten häufig nicht in Form wettbewerblicher Disziplinierung wider.

Netzwerkeffekte führen ab einer kritischen Nutzermasse zu sich selbst verstärkenden Marktpositionen. Netzwerkeffekte beschreiben den steigenden Nutzen eines Programms oder einer Plattform mit steigender Anzahl seiner Nutzer. Direkte Netzwerkeffekte entstehen innerhalb derselben Nutzergruppe: viele Menschen nutzen Facebook, weil sich dort bereits viele Nutzer aufhalten und so die Wahrscheinlichkeit groß ist, über Facebook mit einer möglichst großen Anzahl der eigenen Sozialkontakte in Verbindung zu bleiben. Indirekte Netzwerkeffekte entstehen zwischen unterschiedlichen Nutzergruppen, beispielsweise steigt der Nutzen von Facebook für Werbetreibende mit der steigenden Anzahl von Nutzern, da eine größere Zielgruppe erreicht werden kann. Größe erweitert daher den Nutzen, der wiederum die Größe erweitert, usw.

Des Weiteren spielen Daten eine wichtige Rolle auf digitalen Märkten. Durch Nutzerdaten können Anbieter den Nutzern passgenauere Services und sich durch besseres Zielgruppenmarketing für Werbetreibende attraktiver machen. Dies kann führenden Digitalunternehmen einen erheblichen Wissensvorsprung bei Nutzerbedürfnissen und eine deutlich bessere Werbefinanzierung gegenüber kleineren Konkurrenten und Start-Ups ermöglichen wie der BGH erst jüngst in Sachen Facebook entschieden hat: „Jedoch handelt es sich bei dem Zugang zu Daten nicht nur auf dem Werbemarkt um einen wesentlichen Wettbewerbsparameter, sondern auch auf dem Markt sozialer Netzwerke. Der Zugang von Facebook zu einer erheblich größeren Datenbasis verstärkt die ohnehin schon ausgeprägten „Lock-in-Effekte“ weiter. Außerdem verbessert diese größere Datenbasis die Möglichkeiten der Finanzierung des sozialen Netzwerks mit den Erlösen aus Werbeverträgen, die ebenfalls von Umfang und Qualität der zur Verfügung stehenden Daten abhängen.“[4].

All diese Strukturmerkmale digitaler Märkte führen dazu, dass es sich um „Winner-Takes-Most“-Märkte handelt, d.h. die Märkte neigen dazu, einen klaren Marktführer hervorzubringen, der nicht selten 90 % des Marktes abdeckt. Solch hohe Marktabdeckungen stellen auf „traditionellen“ Märkten eine Ausnahme dar, während sie in der Digitalwirtschaft die Regel sind. Damit ist die Herausforderung des Kartellrechts durch digitale Märkte aus struktureller Sicht offenkundig.


Verhaltensweisen der Digitalkonzerne als Herausforderung des Kartellrechts

Die strukturellen Herausforderungen digitaler Märkte sind Grundlage, nicht jedoch Zielobjekt der kartellrechtlichen Schwierigkeiten bei der Einhegung der führenden Digitalkonzerne. Vielmehr sind es deren konkreten Verhaltensweisen, die aus wettbewerbspolitischer Sicht Anlass zum Eingriff ins Marktgeschehen geben. Denn auch Marktpositionen jenseits von 90 % Marktanteil sind im Grundsatz aus kartellrechtlicher Sicht nicht zu beanstanden, wenn sie wettbewerblich zustande gekommen sind und diese Position nicht missbräuchlich ausgenutzt wird.

An dieser Stelle ist jedoch eine weitverbreitete Strategie der Digitalkonzerne zu verzeichnen, die darauf abzielt, die extreme Marktposition in einem Teilsegment der Digitalindustrie zu nutzen und auf andere Segmente zu erweitern. Ein anschauliches Beispiel hierfür ist das Vorgehen von Google für die Shopping-Suche. Laut den Vorwürfen der Europäischen Kommission hat es Google trotz seiner herausragenden Stellung und Expertise im Bereich horizontaler Suchmaschinen zunächst nicht geschafft, sein vertikales Suchangebot im Bereich Produktsuche (Shopping) bei den Nutzern prominent zu platzieren.[5] Führend waren im Bereich der Shopping-Suche daher eher Preissuchmaschinen wie Idealo.[6] Laut der EU-Kommission legen interne Unterlagen von Google nahe, dass der Konzern dies erkannt und entschieden habe, die eigene Shoppingsuche so prominent bei den Google-Suchergebnissen zu platzieren, dass die Nutzer hieran nicht vorbeikämen.[7]

Es zeigt sich, dass Google im Wettbewerb um Nutzer vertikaler Suchen im Bereich Shopping große Probleme hatte, sich durchzusetzen und man daher die Entscheidung getroffen hat, die Machtposition bei horizontalen Suchen zu nutzen, um die Unannehmlichkeiten des Wettbewerbs zu umgehen.[8] Google ersetzte daher den offenen Wettbewerbsprozess um den Markt für Shopping-Vergleichssuchen „Bottom-Up“- durch einen „Top-Down“-Ansatz, dessen Ausgang vorgezeichnet war. Es gibt aus wettbewerbspolitischer Sicht jedoch keinen guten Grund, Google aufgrund seines unbestrittenen Erfolges im Segment der Suchmaschinen zu erlauben, diese Positionen gezielt einzusetzen, um den noch offenen Wettbewerbsprozess auf anderen Märkten zu stören. Die konkrete Grenze auszuloten, ob und wie ein marktbeherrschender Digitalkonzern seine Stellung soll nutzen dürfen, um offene Wettbewerbsprozesse auf anderen Digitalmärkten zu beeinflussen, ist der Mehrwert, aber auch die große Herausforderung des Kartellrechts.

Ob hierfür tatsächlich eine vierte Säule notwendig ist, kann nur durch eine Einschätzung der Möglichkeiten und Grenzen aktueller kartellrechtlicher Bordmittel bewertet werden. Im Folgenden werden daher die Möglichkeiten und Grenzen der Fusionskontrolle, des Kartellverbots und der Missbrauchskontrolle zur Einhegung der Digitalkonzerne erörtert:


Merger control is dead, isn’t it?[9]

Die Fusionskontrolle als präventive Strukturkontrolle hat sich mittlerweile als nahezu wirkungslos erwiesen. Die Konzentration auf nahezu allen Märkten nimmt fortwährend zu. Wenn es sich nicht gerade um den Zusammenschluss engster Wettbewerber mit erheblichen horizontalen Überschneidungen und erheblichen Marktanteilen handelt, ist mit einer Untersagung kaum zu rechnen. Digitalkonzernen wird bei Fusionen wie Facebook/Whatsapp[10] und Google/Fitbit[11] aufgegeben, Daten nicht unbeschränkt zu vereinen, woran sich die Konzerne bisweilen in vorhersehbarer Weise nicht halten. Dies wird dann mit Geld(-bußen) geregelt, was den wettbewerblichen Schaden aber selbstverständlich nicht repariert.[12] Es fehlt an praktischen Standards zu konglomeraten Zusammenschlüssen (im Digitalsektor). Die begründete Furcht der EU-Kommission vor der Aufhebung der Untersagungsentscheidungen durch den EuGH[13] führt zu Konzessionsfreigaben, bei denen Auflagenerteilungen als politischer Erfolg der Kommission gefeiert werden. Von der Fusionskontrolle ist bei der Einhegung der Digitalkonzerne daher kein erheblicher Beitrag zu erwarten.


Kartellverbot – It takes two to tango

Die größte Schwachstelle des Kartellverbots bei der Einhegung der Digitalkonzerne ist offenkundig: wenn es sich um einseitiges Verhalten handelt, ist bereits der Anwendungsbereich des Verbots wettbewerbsbeschränkender Vereinbarung nicht eröffnet.

Gleichwohl kann das Kartellverbot in Randbereichen gerade auch auf digitalen Märkten zu deren Offenhaltung beitragen. Dies gilt namentlich für das Verbot der Abwerbeverbote zwischen konkurrierenden Unternehmen, sog. no-poaching agreements. So kann es zu einer weiteren Verkrustung des Innovationswettbewerbs führen, wenn führende (Digital-)Konzerne wechselseitige auf die Abwerbung elementarer Mitarbeiter verzichten.[14]

Das Kartellverbot kann seine Gestaltungskraft auch auf Plattformen entfalten, die ihre Dienstleister als selbstständige Leistungsbringer und nicht etwa Arbeitnehmer betrachten. Denn konsequenterweise stehen diese Dienstleister dann auch im horizontalen Wettbewerber zueinander, so dass eine zentrale Preisvorgabe etwa durch Uber einen Kartellverstoß bedeuten kann.[15]

In Bedrängnis gerät das Kartellverbot aber immer dann, wenn eine irgendwie geartete Fühlungnahme mit den Wettbewerbern obsolet ist, da aufgrund algorithmischer und digitaler Informationsverarbeitung und Bepreisungsansätzen eine Markttransparenz erreicht wird, die ein nicht vom Kartellverbot erfasstes bewusstes Parallelverhalten erlaubt (sog. tacit collusion). Es bleibt abzuwarten, ob bzw. wann Algorithmen und IT-basierte Informationsverarbeitung ein Niveau erreichen, welches quasi jeden Markt zum „Tankstellenmarkt“ macht.[16] Die einseitigen Hebelungsstrategien der führenden Digitalkonzerne vermag das Kartellverbot aber nicht flächendeckend einzufangen.


Repressive Missbrauchskontrolle – von Schnecken und Rössern

Die repressiv ausgestaltete Kontrolle des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung scheint am ehesten geeignet, die dargestellten wettbewerblichen Gefahren einzuhegen. Die Verhinderung der Hebelung einer marktbeherrschenden Stellung von einem auf einen anderen Markt ist seit jeher die Domäne der kartellrechtlichen Missbrauchskontrolle, insbesondere in Form des Verbots der Bündelung von marktbeherrschenden und nicht-marktbeherrschenden Produkten. Die generelle Eröffnung des Anwendungsbereichs der Missbrauchskontrolle auf die Strategien der Digitalkonzerne wird belegt durch Verfahren der Wettbewerbsbehörden, wie beispielsweise des Bundeskartellamts gegen Facebook[17] oder der EU-Kommission gegen Google.[18] Selbst wenn diese Verfahren aber am Ende auch vor Gericht von Erfolg gekrönt sein sollten, bleiben als erhebliche Durchsetzungsschwächen der repressiven Missbrauchskontrolle die Schnecken- und Ross-und-Reiter-Problematik:

Die Schneckenproblematik beschreibt die Langwierigkeit der Verfahren von Verfahrenseinleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss. Das Facebook-Verfahren des Bundeskartellamtes dauert bereits seit 2016 an und hat jüngst eine Entscheidung des BGH im einstweiligen Rechtsschutzverfahren hervorgebracht. Bis zum Abschluss der Hauptsache werden daher weitere Jahre ins Land gehen.

Die Ross-und-Reiter-Problematik[19] beschreibt das Problem der fortbestehenden Abhängigkeit der sich benachteiligt fühlenden Unternehmen gegenüber einem Marktbeherrscher. Denn in einem solchen Verhältnis vermag der Marktbeherrscher immer Mittel und Wege zu finden, um ein sich beschwerendes Unternehmen in legaler Weise abzustrafen. Dies erhöht die Hemmungen der abhängigen oder benachteiligten Unternehmen, entsprechende Beschwerden bei den Wettbewerbsbehörden einzureichen. Die Wettbewerbsbehörden sind jedoch auf die sachkundigen Beschwerden anderer Markteilnehmer angewiesen, um eine kartellrechtliche Prüfung zu starten. Trotz aller bisherigen Bemühungen zum Schutz der Identität der sich beschwerenden Marktteilnehmer, gelingt es gerade in Bußgeldverfahren in der Praxis nicht, deren Identität vollumfänglich zu schützen.

Die kartellrechtliche Missbrauchskontrolle weist als – gerade in der behördlichen Durchsetzung – repressiv angelegtes Instrument der nachträglichen Bestrafung von Fehlverhalten Defizite auf. Zum einen werden bestimmte Verhaltensweisen der Marktbeherrscher von den betroffenen Marktteilnehmern aus Angst vor Abstrafung durch den Marktbeherrscher bereits nicht bei den Wettbewerbsbehörden zur Anzeige gebracht. Zum anderen sind die behördlichen Missbrauchsverfahren so langwierig, dass die wettbewerblichen Schäden nicht mehr eingefangen, sondern allenfalls monetär kompensiert werden können. Dies macht missbräuchliche Verhaltensweisen für die digitale Konzerne zu Investmententscheidungen.

Verbesserungen innerhalb der bestehenden Säule der Missbrauchskontrolle sind etwa durch Ausweitung einstweiliger Maßnahmen denkbar. Dies ist für die 10. GWB-Novelle vorgesehen. Zudem ließ die Europäische Kommission kürzlich mit einstweiligen Maßnahmen gegenüber Broadcom aufhorchen. Nach Einschätzung der Kommission ist Broadcom marktbeherrschend bei Ein-Chip-Systeme für TV-Set-Top-Boxen, Glasfasermodems und xDSL-Modems. Des Weiteren nutze Broadcom diese Marktstellung durch Rabatte und andere Vorteile gegenüber Kunden aus, die daran geknüpft sind, dass Kunden die Produkte (quasi) exklusiv bei Broadcom beziehen.[20]

Es bleibt jedoch abzuwarten, ob die Wettbewerbsbehörden künftig häufiger Gebrauch von einstweiligen Maßnahmen machen werden und ob sie hierfür Rückendeckung durch die Gerichte erhalten.


Präventive Verhaltenskontrolle – die eierlegende Wollmilchsau?

Sind damit die Unzulänglichkeiten der etablierten Säulen des Kartellrechts benannt, schließt sich die Frage an, wie eine künftige vierte Säule gestalten sein muss, um die identifizierten Lücken zu schließen.

Die EU-Kommission stellt derzeit vier Optionen für ein solches Tool zur Diskussion: eine präventive Verhaltenskontrolle marktbeherrschender Unternehmen auf allen Märkten (Option 1) oder nur auf bestimmten Märkten wie etwa den Digitalmärkten (Option 2) sowie eine präventive Verhaltenskontrolle selbst von nicht dominanten Unternehmen auf allen Märkten mit strukturellen Risiken oder Schwächen (Option 3) oder nur auf bestimmten Märkten wie etwa den Digitalmärkten (Option 4).[21] Die EU-Kommission konsultiert noch bis zum 8. September 2020 die Öffentlichkeit zu diesen Optionen[22] und plant für das vierte Quartal 2020 mit der Erstellung eines Vorschlags für eine Umsetzung.

Konkreter sind bereits die Vorstellungen des deutschen Gesetzgebers, der mit der bevorstehenden 10. GWB-Novelle in dem neuen § 19a GWB-RefE das missbräuchliche Verhalten von Unternehmen mit überragender marktübergreifender Bedeutung für den Wettbewerb erfassen möchte.[23] § 19a GWB RefE ist eine Mischung aus Option 1 und 2 der EU-Kommission. Denn die Anwendung der Norm setzt voraus, dass der Adressat zumindest auf einem Markt marktbeherrschend ist und in erheblichem Umfang auf mehrseitigen bzw. Netzwerkmärkten im Sinne des § 18 Abs. 3a GWB tätig ist.

Dem präventiven Ansatz folgend, setzen die dargelegten Vorschläge keinen Kartellrechtsverstoß voraus, sondern sollen die Gefahr eines solchen antizipieren und im Vorfeld verhindern. Untersagt werden sollen daher insbesondere Maßnahmen, die zu einer weiteren Verschlechterung der Marktstruktur führen können: Selbstbevorzugung eigener Dienste auf marktbeherrschender Plattform, Behinderung des Wettbewerbs auf nicht beherrschten Märkten, extensive Datenerhebung zur Errichtung von Marktzutrittsschranken, Behinderung der Interoperabilität, etc.

Wie bereits anhand des Facebook-Verfahrens des Bundeskartellamts oder der Google-Verfahren der EU-Kommission gezeigt, werden solche Fälle nicht selten auch von der kartellrechtlichen Missbrauchskontrolle erfasst sein, die jedoch erst repressiv zur Anwendung kommt. Die präventive Verhaltenskontrolle soll solche Strategien bereits im Keim ersticken.

Freilich gehen mit der Einführung eines solchen Instruments eine Fülle unbeantworteter Rechtsfragen einher. Deren konkrete Beantwortung nicht zuletzt durch die Gerichte wird in Zukunft zeigen, welchen Beitrag die vierte Säule des Kartellrechts bieten kann. Die aktuellen wettbewerbspolitischen Diskussionen und Gesetzesänderungspläne zeigen jedoch bereits deutlich: die Zukunft hat bereits begonnen.


Ausblick und globale Entwicklung

Die Erweiterung des Kartellrechts um eine weitere Säule hat historische Vorgänger. So sahen weder das amerikanische noch das deutsche noch das europäische Kartellrecht am Anfang eine Fusionskontrolle vor. Gerade die Fusionskontrolle zeigt, dass neue Instrumente zunächst in einer Jurisdiktion eingeführt werden und später von anderen übernommen. War die Weiterentwicklung des Kartellrechts früher eine Domäne des US-amerikanische Rechts, sind es mittlerweile die Europäer, die neue Wege beschreiten und Nachahmer in den USA finden. So wurde im Staate New York jüngst eine Kartellgesetzesnovelle eingebracht, welche den Anwendungsbereich des Kartellrechts in New York gerade hinsichtlich der kartellrechtlichen Missbrauchskontrolle deutlich erweitern wird und sich hierbei auf die Missbrauchskontrolle in der EU bezieht.[24] Neu eingeführt werden die Konzepte der dominante Marktstellung („dominant position“) und der missbräuchlichen Ausnutzung („abuse“), die begrifflich über die nationalen Regelungen („monopoly power“ und „anticompetitive conduct“) hinausgehen könnten. Mehr noch als im kontinental-europäischen Recht wird dies aber von der Auslegung durch die Gerichte zur Reichweite dieser Begriffe abhängen.

Zur Begründung dieser Erweiterung wird ausdrücklich auf die wachsende Marktmacht der Internetkonzerne verwiesen, von denen einige auch wichtige Standorte in New York haben.[25] Auch wenn es sich hierbei im Kern um eine Erweiterung der bestehenden Säule „Missbrauchskontrolle“ handelt, könnten die Diskussionen um eine vierte Säule des Kartellrechts auch in den USA Fahrt aufnehmen, insbesondere, wenn Deutschland oder die EU erfolgreich weitere Instrumente implementieren können. Entscheidend wird auch sein, zu welchen Ergebnissen das DOJ in den Verfahren gegen Google & Co. Kommt, die noch diesen Sommer abgeschlossen werden sollen.[26] Antitrust’s future is not near, it’s here.

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[1]  Vgl. https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Artikel/Wirtschaft/kernsaeulen-des-gwb.html (zuletzt abgerufen am 14. August 2020).

[2]  Crémer/de Montjoye/Schweitzer, Competition Policy for the digital era, S. 20; abrufbar unter https://ec.europa.eu/competition/publications/reports/kd0419345enn.pdf (zuletzt abgerufen am 14. August 2020).

[3]  Burt, „Can Facebook Ever Be Fixed?“, Harvard Business Review, abrufbar https://hbr.org/2019/04/can-facebook-ever-be-fixed (zuletzt abgerufen am 14. August 2020).

[4]6 BGH, Beschluss vom 23. Juni 2020, KVR 69/19; PM abrufbar unter: https://www.bundesgerichtshof.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2020/2020080.html (zuletzt abgerufen am 14. August 2020).

[5]  https://ec.europa.eu/germany/news/eu-kommission-verh%C3%A4ngt-geldbu%C3%9Fe-von-242-milliarden-euro-gegen-google_de (zuletzt abgerufen am 14. August 2020).

[6]  Idealo bzw. der dahinter stehende Springerkonzern verklagt Google derzeit auf Kartellschadensersatz in Höhe von EUR 500 Mio.: https://www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/idealo-verklagt-google-vorwurf-des-marktmissbrauchs-a-1262600.html (zuletzt abgerufen am 14. August 2020).

[7]  https://ec.europa.eu/germany/news/eu-kommission-verh%C3%A4ngt-geldbu%C3%9Fe-von-242-milliarden-euro-gegen-google_de (zuletzt abgerufen am 14. August 2020).

[8]  Zu den Begriffen „horizontale“ und „vertikale Suche“ s. https://bold-ventures.de/magazin/horizontale-und-vertikale-suche-seo-grundlagen/#gref (zuletzt abgerufen am 14. August 2020).

[9]  In Anlehnung an R. Posners berühmten Ausspruch „Antitrust is dead, isn’t it?“, s. https://promarket.org/2017/03/28/richard-posner-real-corruption-ownership-congress-rich/ (zuletzt abgerufen am 14. August 2020).

[10]  https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/en/IP_14_1088 (zuletzt abgerufen am 14. August 2020).

[11]  https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/en/ip_20_1446 (zuletzt abgerufen am 14. August 2020).

[12]  https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/en/IP_17_1369 (zuletzt abgerufen am 14. August 2020).

[13]  So hob jüngst der EuG eine Untersagungsunterscheidung der EU-Kommission in Bezug auf die Mobilfunkanbieter Telefónica UK und Hutchison 3G UK aus Mai 2016 auf: https://curia.europa.eu/jcms/upload/docs/application/pdf/2020-05/cp200065en.pdf (zuletzt abgerufen am 14. August 2020).

[14]  Siehe zu verbotenen Absprachen zwischen Apple, Adobe Systems, Google and Intel in den USA: https://www.mercurynews.com/2015/09/03/silicon-valleys-415-million-poaching-settlement-finalized/ (zuletzt abgerufen am 14. August 2020).

[15]  https://www.forbes.com/sites/washingtonbytes/2019/02/25/uber-under-the-antitrust-microscope-is-there-a-firm-exemption-to-antitrust/ (zuletzt abgerufen am 14. August 2020).

[16]  Hierzu bereits Künstner, GRUR 2019, 36, 38.

[17]  BKartA, Beschluss vom 6. Februar 2019, B6-22/16 – Facebook; https://www.bundeskartellamt.de/SharedDocs/Entscheidung/DE/Entscheidungen/Missbrauchsaufsicht/2019/B6-22-16.pdf?__blob=publicationFile&v=8 (zuletzt abgerufen am 14. August 2020).

[18]  https://ec.europa.eu/germany/news/eu-kommission-verh%C3%A4ngt-geldbu%C3%9Fe-von-242-milliarden-euro-gegen-google_de (zuletzt abgerufen am 14. August 2020).

[19]  Wanderwitz, WRP 2015, 162, 165.

[20]  https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/de/IP_19_6109 (zuletzt abgerufen am 14. August 2020).

[21]  https://ec.europa.eu/info/law/better-regulation/have-your-say/initiatives/12416-New-competition-tool (zuletzt abgerufen am 14. August 2020).

[22]  https://ec.europa.eu/info/law/better-regulation/have-your-say/initiatives/12416-New-competition-tool/public-consultation (zuletzt abgerufen am 14. August 2020).

[23]  https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Downloads/G/gwb-digitalisierungsgesetz-referentenentwurf.pdf?__blob=publicationFile&v=10 (zuletzt abgerufen am 14. August 2020).

[24]  https://legislation.nysenate.gov/pdf/bills/2019/S8700A (zuletzt abgerufen am 14. August 2020).

[25]  https://www.theguardian.com/technology/2020/aug/05/antitrust-bill-new-york-easier-to-sue-big-tech (zuletzt abgerufen am 14. August 2020).

[26]  https://www.reuters.com/article/us-tech-antitrust-google-focus/u-s-and-states-google-antitrust-probe-nears-finish-line-idUSKBN23X1D7 (zuletzt abgerufen am 14. August 2020).

Titelbild: © Claudia Otto

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