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Drive Me Crazy:

Taugt die Blockchain-Technologie für den nachhaltigen Einsatz im Mobilitätsbereich?

Claudia Otto

I. Einführung

Der Hype um die Blockchain als Unterfall der Distributed Ledger-Technologie (DLT) und Smart Contracts hat mittlerweile ein Ausmaß angenommen, dem sich kein Gesetzgeber verschließen kann und möchte. Auch in Deutschland wird eine ernsthafte Prüfung des Regelungsbedarfs nützlicher Einsatzmöglichkeiten und echter Gefahren unternommen.[1]

Den zu prüfenden Bereich der Mobilität muss man zwangsläufig weit fassen: Denn Distributed Ledger und Smart Contract lassen sich nicht auf wenige Anwendungsbeispiele beschränken und generalisierend beurteilen. Die Use Cases reichen vom Einsatz reiner alternativer Zahlungsmöglichkeiten (etwa an Ladestellen für Elektroautos) über Crowdfunding und Sharing von Verkehrsmitteln in strukturschwachen Regionen bis hin zur zivilrechtlichen Übertragung von Besitz, etwa an Mietfahrrädern sowie behördlichen Fahrerlaubniserteilung und Fahrzeugzulassung bzw. deren Widerruf.

In diesem Beitrag soll der gesamtgesellschaftliche Einsatz betrachtet werden. Dabei werden wesentlich zu berücksichtigende Aspekte der Technologie, Chancen und Risiken sowie ein paar Beispiele aufgezeigt, die der weiteren Entwicklung dienlich sein können. ___STEADY_PAYWALL___


II. Marketing beherrscht die Märkte

In Sachen Blockchain und Smart Contracts verschwimmen derzeit die Grenzen des Gewünschten und tatsächlich Möglichen. Die Grenzen werden nicht selten bewusst verwischt. Die unverkennbare Werbewirkung insbesondere des Begriffes „Blockchain“ haben immer mehr Unternehmer und Unternehmen für sich erkannt und in ihrer Marketing-Strategie integriert. Forschungs- und Entwicklungsvorhaben werden wie fertige Produkte und Lösungen angepriesen; oft unterscheiden nur feinste Formulierungen Fiktion und Realität, die v.a. für den Verbraucher nicht erkennbar sind. Auch Porsche schwärmt neuerdings in einem Werbespot von dem Einsatz der Blockchain-Technologie[2]: Bei genauem Hinsehen erkennt man, dass nur an der Umsetzung von Vorstellungen geforscht wird.[3]

Darüber hinaus hat sich Marketing mit bewusst unzureichenden, gar irreführenden Informationen mittlerweile als nahezu charakteristisch für Projekte im Zusammenhang mit der Blockchain-Technologie und ihren Smart Contracts etabliert. Die aufschreckenden Entwicklungen um die neuartige Finanzierungsform ICO[4] zeigen, wie leicht Menschen getäuscht werden können und sollen. Sie zeigen insbesondere, wie schnell eine um Vertrauen bemühte Branche in den Abgrund gerissen werden kann.[5] Gesamtgesellschaftliche Projekte müssen ihren Ansatz daher von Anfang an in der Nachhaltigkeit, der Förderung sozialer Ziele und der Behebung gesellschaftlicher Probleme suchen. Auf Trends, vagen Angaben und Vermutungen sollte die Zukunft der Bürger schließlich nicht gründen.


III. Hybride ökonomische Bewertung erforderlich

Die ökonomische Bewertung der DLT im Mobilitätsbereich erfordert insbesondere die Berücksichtigung der steigenden Metropolisierung, der strukturschwachen und schwächer werdenden Landregionen, des demographischen Wandels sowie der erforderlichen Beständigkeit und Verlässlichkeit von Mobilitätsangeboten bei verlässlichem Schutz und Sicherheit der geteilten Daten.[6] Die Mobilität von Gütern und Personen ist eine Grundvoraussetzung moderner Volkswirtschaften. Das Transport- und Verkehrssystem muss zugunsten einer beständigen Versorgung von Staat und Gesellschaft funktions- und leistungsfähig sein; Experimente aufgrund fixer Ideen bergen ein hohes Gefährdungspotential für diese kritische Infrastruktur als wesentliche Säule unserer Gesellschaft. Ausfälle im Transportwesen wirken sich auf nahezu alle Lebensbereiche aus.[7] Fraglich bleibt stets, wie gut wir auf Ausfälle vorbereitet wären, ganz gleich, ob sie system- oder angriffsbedingt erfolgen würden. Ob wir überhaupt hinreichenden Katastrophenschutz gewährleisten könnten, wenn Bürger und Behörden noch mehr abhängig würden von Technologie, die ihrerseits von Energie und Internetverbindung abhängig ist.

Es ist nicht möglich, die DLT anhand eines einzigen ökonomischen Modells zu beurteilen. Vielmehr haben uns die Entwicklungen um Bitcoin und ICOs gezeigt, dass der Homo Oeconomicus zur glitzerorientierten Elster wird, lockt etwa ein Whitepaper mit Versprechungen großer Reichtümer. Auch der vollkommene Markt ist in öffentlichen Peer-to-Peer-Netzwerken (P2P-Netzwerken) nicht denkbar; allein die bestehende Möglichkeit des Ungeschehenmachens elektronischer Verluste ist wirtschaftlich wie rechtsstaatlich un- bis wahnsinnig. Wenn, wie in 2016 um die sog. DAO (Distributed Autonomous Organisation) im Ethereum-Netzwerk geschehen, bei Vorliegen bestimmter Bedingungen, Verluste durch Protokolländerung sinngemäß einfach rückgängig gemacht werden können,[8] verschieben sich die Probleme um das notwendige Verhindern sog. Double-Spendings (Doppeltes Ausgeben) lediglich zeitlich nach hinten: Wenn Mieter etwa das gezahlte Nutzungsentgelt nach erfolgter Nutzung eines (Sharing-)Mietfahrzeugs anderweitig ausgeben wollen und geschlossen in Mehrheit zurückverlangen, ist dies in einem Blockchain-basierten Mieter-Vermieter-Netzwerk ähnlich Bitcoin bzw. Ethereum grundsätzlich möglich. Wenn auch nur eine Person infolge ihres Wissensvorsprungs die Kontrolle über das Netzwerk erlangen kann, Transaktionen manipulieren und begrenzt vorhandene elektronische Zahlungsmittel vielfach einsetzen kann,[9] dann ist die angebliche Unveränderlichkeit (sog. Immutability) der Blockchain als bekanntester Unterfall der DLT kein nettes Best Case-Scenario mehr.

Die Beurteilung ihrer Wirtschaftlichkeit und des volkswirtschaftlichen Nutzens ihres Einsatzes bedarf einer mit den tatsächlichen Umständen abgestimmten, nicht nur rein wissenschaftlich-theoretischen Prüfung, sondern einer hybriden Analyse. Dabei müssen zwingend mathematische Modelle zum Einsatz kommen, die für den Gesetzgeber, je nach Ziel oder Parameter, die variablen (gesamt)wirtschaftlichen Auswirkungen sichtbar und damit zur Entscheidungsgrundlage machen können.


IV. Der Metropolisierung, Verkehrs-, Luft- und Umweltbelastung Herr werden

Die zunehmende Metropolisierung wird die Verkehrs-, Luft- und Umweltbelastung der Städte verstärken. Das Angebot der entgeltfreien Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel ist daher immer wieder im Gespräch. Langfristig muss der Anreiz zum Kauf eines eigenen Kraftfahrzeugs geschwächt werden. Auch Elektrofahrzeuge und Mietfahrräder belasten und verstopfen die Verkehrsnetze sowie -räume. Ladesäulenstrukturen mit komplizierten, alternativen Zahlungsmethoden sind nicht zuletzt wirtschaftlich und rechtlich problematisch bis kontraproduktiv.


V. Das infrastrukturschwache Land fördern

Infrastrukturschwache Gebiete bedürfen hingegen besonderer Lösungen für den Mangel an öffentlichen Verkehrsmitteln, ohne die Anwohner auf ein eigenes, teures Automobil zu verweisen. Ältere Menschen verlieren auch weiterhin den Zugang zur Versorgung mit Lebensmitteln, Ärzten und Pflege. Junge Menschen verlieren den Anschluss an ihre Peergroup und berufliche Zukunft. Ländliche Gebiete haben das große Potential, die Städte zu entlasten; doch sie sind in gravierender Weise unattraktiv (z.B. wegen des teuren sowie wartezeitbedingt zeitaufwändigen Pendelns) und unfähig (aufgrund des mangelnden Breitbandausbaus), dieses Potential auszuschöpfen.


VI. Lösungen müssen Probleme für Menschen lösbar machen

Nachhaltige Lösungen sind – für jeden, insbesondere jung wie alt – einfach bedienbar und kommen ohne unzählige Schnittstellen i.S.v. Zugriffspunkten aus, die jeweils ein neues Einfallstor für Schadsoftware bieten.[10] Anwender müssen zudem in der Lage sein, zu verstehen, was sie nutzen und was von ihnen im Gegenzug wie und wie lange genutzt wird. Eine geniale Technologie verliert ihre Nutzungsattraktivität, wenn sie nicht verständlich, nicht sinnvoll und nur in teurer sowie komplizierter Weise nutzbar umgesetzt werden kann. Wenn  leistungsstarke Hardware zunächst erst einmal angeschafft werden muss, um in den Genuss von Unterstützungsleistungen zu kommen, werden sich viele dieser Möglichkeit verschließen. Ein solcher faktischer Ausschluss von Nutzergruppen muss vermieden werden. Wiederum muss bei staatlichem Einsatz von DLT ausgeschlossen sein, dass Verbraucher faktisch gezwungen sind, ihre Daten gegen soziale Teilhabe einzutauschen. Der Handel von Komfort gegen Transparenz muss freiwillig bleiben. Auch müssen Gefahren bestmöglich ausgeschlossen und Entschädigung im Schadensfalle zugänglich sein.

Derzeit steht nicht zu vermuten, dass Blockchain-Anwendungen von allen Bevölkerungsmitgliedern verstanden, bedient und damit zumutbar genutzt werden können.


VII. Vernünftige Vernetzung ist langfristig gesehen sinnvoll und erforderlich.

Vernunft sollte bei Digitalisierungsprojekten stets Priorität haben. Erst recht gilt dies für Projekte mit gesamtgesellschaftlicher Bedeutung, notwendigerweise langer Lebensdauer und hohem Investitionsbedarf.

Erkennbar ist, dass eine wirtschaftliche Verknüpfung verschiedener Branchen und Sektoren zur Förderung einer besseren, digitalen Mobilität sinnvoll, wenn nicht sogar erforderlich ist. Die relevanten Akteure umfassen daher sowohl die Verkehrsteilnehmer als auch -unternehmen, Sharing-Anbieter und -Nutzer, Crowdfunder und Fundingempfänger, aber auch Dienstleistungs- und Handelsunternehmen sowie Banken. Eine freiere Interaktion der Wirtschaft macht Sy­nergien möglich, die den Staat entlasten. Die rein rechnerischen Mechanismen von DLT können hier ein gewisses und akzeptables Maß an staatlicher Kontrolle gewährleisten, etwa durch die Umsetzung von Verboten mit Erlaubnisvorbehalt.

Demgegenüber muss durch geeignete, erforderliche und angemessene Trennung, v.a. auf technischer Ebene, sichergestellt sein, dass Missbrauch durch Anbieter und Unbefugte mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen ist. Die Beständigkeit und Sicherheit des kritischen Infrastruktursektors Transport und Verkehr sind hohe und unantastbare Prämissen. Die von dezentraler informationstechnologischer Infrastruktur betroffenen Teilbereiche müssen daher im Wesentlichen von Autarkie bestimmt sein.


1. Beispiel Bankennetzwerk SWIFT: Sicherheit, Schnelligkeit und Vertraulichkeit durch Trennung

Als besonders problemlösungsorientiert hat sich die testweise Blockchain-Implementierung von SWIFT[11] erwiesen. Dabei wurde jedoch kein P2P-Netzwerk aller am Test beteiligten Banken geschaffen, sondern die jeweiligen Korrespondenzbanken bildeten die einzigen Knoten (sog. Nodes) einer ausschließlich miteinander geteilten Blockchain-Datenbank („private confidential ledger“). Bei einer solchen Implementierung ist es grundsätzlich möglich, ohne Identifikationsprobleme (Stichwort: Pseudonymität/Anonymität in Public Blockchain-Netzwerken), ohne Einsichtsmöglichkeit Dritter (i.e. vertraulich), ohne die üblichen Angriffsrisiken (i.e. sicher) sowie ohne hohe Verwaltungskosten in real time Nostroabgleichungen vorzunehmen und sowohl gemeinsam als auch zum beiderseitigen Vorteil Buch zu führen.

Vernetzung muss also nicht immer bedeuten, dass jeder in einem Netzwerk unmittelbar Zugriff auf alle Datensätze hat. Vernetzung kann rein organisatorisch und nur punktuell, also nur dort durch direkten Datenaustausch realisiert werden, wo sie notwendig ist. Diese Erkenntnis lässt sich vom erfolgreichen SWIFT-Projekt auf so ziemlich jeden Bereich unserer Gesellschaft übertragen. Der innewohnende Ansatz der Zweckbindung und Datenminimierung statt -maximierung durch Datenvermeidung und Datensparsamkeit lässt sich nicht zuletzt der Datenschutzgrundverordnung entnehmen.

Als für die Weiterentwicklung hinderlich erwies sich jedoch die wenig bis gar nicht standardisierte Buchführung innerhalb der jeweiligen Bank. Die schwerfälligen bis chaotischen Back Offices und internen Kommunikations-Prozesse sind eigentlich diejenigen, die die Vorteile der neuen Lösung zunichtemachen. Auch für die zukünftige, effizientere Behörden-Bürgerkommunikation dürfte dies der erste Schritt in die richtige Richtung sein: Zuerst gehören die internen Prozesse verschlankt und digitalisiert. Erst nach erfolgreichem Abschluss macht es Sinn, sich mit den Bürgern engmaschiger zu vernetzen.


2. Beispiel ÖPNV: Entlastung durch Vernetzung

Entgeltfreier öffentlicher Personennahverkehr (ÖPNV) wird immer wieder als eine mögliche Lösung zur Reduzierung der Luft-, Umwelt- und Verkehrsbelastung in Betracht gezogen.[12] In größeren Städten geht man von kurz- wie langfristig steigenden Fahrgastzahlen aus; man spricht vom sog. Verkehrsverlagerungseffekt vom MIV (PKW und Motorrad) hin zum ÖPNV.[13] Fußgänger würden eher die Zeit des Laufens sparen und auf den ÖPNV „umsteigen“, Unfälle würden in Zahl und Schwere reduziert, gar das für Konsum verfügbare Haushaltseinkommen würde steigen.[14] Durch das Wegfallen von Kosten für die Aufstellung und Wartung von Fahrkartenautomaten bzw. Entwertern, für Fahrkartenkontrollen und sonstige Verwaltung entstünden auch für die Verkehrsunternehmen Vorteile.

Eine entgeltfreie Zurverfügungstellung des ÖPNV belastet jedoch insbesondere die Kommunen und Flächenländer bedienenden Verkehrsgesellschaften in großem Maße, weil die Kosten durch die Wenignutzung auf dem Land nicht gedeckt werden können. Das Angebot entgeltfreier Nutzung wird dort sehr wahrscheinlich die tatsächliche Nutzung nicht hinreichend oder nur unwesentlich erhöhen. Die Modellprojekte in Templin und Lübben wurden wegen weiterer Kostensteigerungen und der damit verbundenen Belastung für die Kommunen wieder abgeschafft.[15] Spitzenlastenzeiten der größeren Städte können demgegenüber durch kostenfreie Nutzung des ÖPNV auch zu Schwachlastzeiten nicht entlastet werden. Die Gesellschaft wird sich nicht an einen einzelnen Lösungsansatz anpassen. Insbesondere lassen sich derart flächendeckende Angebote nicht folgenlos binnen kurzer Zeit realisieren:

„Es ist nicht realistisch, kurzfristig diesen kostenlosen ÖPNV flächendeckend anzubieten“, sagte Bonns OB Ashok-Alexander Sridharan. „Zunächst müssten zusätzliche Fahrzeuge, Straßenbahnen wie Busse, angeschafft sowie Personal eingestellt werden. Außerdem müsste die durch einen kostenlosen ÖPNV entstehende Finanzierungslücke gedeckt werden. Und schließlich befindet sich Bonn im Verkehrsverbund Rhein-Sieg und kann das nicht alleine entscheiden.“[16]

Die Anreize und die Kostenverteilung müssen anders gestaltet werden. Insbesondere müssen Autofahrer andere Vorteile als reine Kosteneinsparungen gegenüber der Unterhaltung eines privaten PKWs im öffentlichen Verkehr erkennen. Wer täglich die Kinder in den weit entfernten Kindergarten bringen oder schwere Geräte berufsbedingt transportieren muss, wird für ein paar gesparte Euro kaum mehr Belastung und Zeitverlust akzeptieren sowie enge Busse und Bahnen mit unangenehmen Ausdünstungen während der warmen Jahreszeit in Anspruch nehmen wollen.

Sinnvoller ist hier langfristig gesehen eher die Reduzierung der PKW durch die Förderung von Mitfahrgelegenheiten oder auch privaten Shuttleservices. Uber hat zwar in vielen Ländern Rechtsverstöße begangen, doch die Grundidee, Fahrer und Mitfahrer über eine praktische, einfach verständliche und bedienbare Anwendung (App) zusammenzuführen, hat Zukunft, da sie für Umwelt und Mensch langfristig Entlastung mit sich bringt. Hier erscheint eine Überarbeitung der Gesetze sinnvoll. Fokus sollte hier zunächst auf der ländlichen Region liegen, wo betroffene Taxi-Gesellschaften keine oder nur teure Services anbieten können.

Ein kleines, auf seinen Personenbeförderungszweck beschränktes P2P-Netzwerk aus Rechnern bzw. Smartphones der Anwohner und aus leicht verständlichen und bedienbaren Geräten an Sammelstellen, zutrittsbeschränkt und überwacht durch eine möglicherweise auch behördliche Stelle, welche die ggf. freiverhandelbaren Preise der Fahrten in der Höhe begrenzen und überwachen kann, wäre eine mögliche Umsetzungsvariante.

Denkbar wären auch Lösungen, bei denen die Nutzer bei ihrem Einkauf im Supermarkt anstatt der üblichen Treuepunktenprämien ÖPNV-Nutzungsrechte erwerben können. Überzeugte Autofahrer könnten diese wiederum spenden. Dafür müssten sie nicht einmal Nutzer des P2P-Netzwerkes sein; der Supermarkt könnte die ÖPNV-Nutzungsrechte „verkörpernden“ „Token“ z.B. in einem Sammel-Smart Contract hinterlegen. Bedürftige könnten diese „Tokenfahrkarten“ dann von einer berechtigten Stelle zur Nutzung übertragen bekommen. Sie könnten sogar in Form eines QR-Codes auf einem ausgedruckten Stück Papier übertragen werden, welchen der Busfahrer wiederum einscannen könnte. Die Beförderung begehrende Person selbst müsste nirgendwo in einem P2P-Netzwerk auftauchen oder gar agieren. Sie bräuchte nicht einmal einen Rechner.

Nicht zuletzt liegen auch (Micro-)Crowdfunding-Lösungen nahe, die finanzielle Mittel zur Versorgung der Landbevölkerung zur Verfügung stellen. So könnten beispielsweise mobile Ärzte- und Pflegedienste, in fairer Verteilung, öfter und stets qualitativ hochwertige Leistungen anbieten.

Die Gestaltungsmöglichkeiten sind enorm vielfältig; P2P-Netzwerke und DLT-Technologie dürften gerade im Bereich des ÖPNV eine willkommene Lösung sein, die schwerpunktmäßig Verwaltung aber auch Bedürftige entlasten kann. Darüber hinaus besteht das Potential, das Land als Wohn- und Arbeitsort wieder attraktiv zu machen.


VIII. Aber: Die Zukunft der Technologie ist ungewiss

Die Blockchain als Unterfall der DLT bezieht ihre Sicherheit vor allem aus der Ungelöstheit eines Rätsels um elliptische Kurven (konkret das Elliptical Curves Discrete Logarithm Problem).[17] So wie es die Ethereum Stiftung bereits in ihrem Legal Agreement[18] formuliert hat, ist Kryptographie mehr Kunst als Wissenschaft. Der Wettlauf der Rätselabhängigen und Rätselknacker kann heute bereits zugunsten Letzterer entschieden worden sein. Vielleicht verfügt bereits ein Geheimdienst dieser Welt über den Schlüssel. Natürlich würde dieser nicht medienwirksam verkünden, dass man das Geheimnis um elliptische Kurven bereits gelöst hat. Hier kann auf die Entstehungsgeschichte der asymmetrischen Public-Key-Kryptographie verwiesen werden: Die Mitarbeiter Ellis, Cocks und Williamson des britischen Government Communications Headquarters (GCHQ) hatten bereits 1975 die wesentlichen Fragen um asymmetrische Public-Key-Kryptographie geklärt und mussten Stillschweigen bewahren, während in den drei Folgejahren Diffie, Hellman, Rivest, Shamir und Adleman den Erfolg für die gleichen Entdeckungen einstreichen sollten.[19] Erst am 18. Dezember 1997 durften Ellis, Cocks und Williamson Anerkennung erhalten.[20]

Der Quantencomputer wird darüber hinaus mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit der Public-Key-Kryptographie ein Ende setzen. Die für unseren kritischen Infrastruktursektor Transport und Verkehr erforderliche Beständigkeit und Sicherheit kann daher derzeit nicht in seriöser Weise versprochen werden.

Ob sog. Platooning[21] etwa unter Einsatz der Blockchain-Technologie wirklich langfristige und spürbare Vorteile für Transportunternehmen, Kunden und Verkehr bringt, ist ernsthaft zu bezweifeln. Allein der kaum zu verwirklichende gleiche Bremsweg aller digital verbundenen, in einer Kolonne dicht hintereinander fahrenden Lastkraftwagen dürfte eine zu große Gefahr für den Straßenverkehr darstellen, weil die Blockchain physikalische Probleme der realen Welt (Glätte, Aquaplaning, Reifenabrieb etc.) nicht eigenständig lösen kann. Vielmehr bedarf es weiterhin gründlicher Forschung und Entwicklung, um langfristig und überhaupt eine vielversprechende Idee und dezentrale Technologie zum Nutzen der gesamten Volkswirtschaft einsetzen zu können.


IX. Zukunftslosigkeit? Jedenfalls in der bekannten Form.

Diese These der Zukunftslosigkeit beruht auf der gegenwärtigen Struktur von öffentlichen Netzwerken wie Bitcoin und Ethereum; es ist nicht ausgeschlossen, dass neue, zentralisierte und/oder hybride Lösungen die Mängel und Gefahren der DLT-Technologie reduzieren oder gar beseitigen können. Auch die von Spalink[22] aufgezeigten Lösungsansätze zeigen: Die aktuellen Implementierungen haben keine Zukunft.

Es genügt dabei jedoch nicht, sich auf die drängendsten technischen Fragen zu beschränken, man muss noch viel weiter denken:

DLT ist gegenüber heutigen Computern aufgrund ihrer Dezentralität schwerfällig, langsam und sogar rückschrittlich. Während wir gewohnt sind, dass unsere Rechner unzählige Prozesse gleichzeitig ausführen können (das entspricht einer guten sog. Concurrency),[23] erfolgt die Datenverarbeitung in einer Blockchain – wie die Blockkettenstruktur bereits indiziert – hintereinander, nicht nebeneinander. In Bitcoin wird jede einzelne Änderung an der Datenbank frühestens ca. 10 Minuten später wirksam, in Ethereum frühestens nach ca. 12 Sekunden.[24] Dabei ist die Ausführung zusätzlich abhängig von „Transaktionsgebühren“, die als Anreiz dem Datenverarbeiter „Miner“ angeboten werden müssen. Eine hohe Transaktionsgebühr führt dabei zu schneller Verarbeitung, keine zu potentiell nie erfolgender Verarbeitung. Flaschenhalssituationen infolge mangelnder Skalierbarkeit sind Alltag, somit vorprogrammiert bei dieser Datenbankstruktur und -verwaltung,[25] auch wenn an Lösungen derzeit geforscht und geschraubt wird.[26] Datenverklumpungen, Datenstausituationen und langwierige Synchronisationsprozesse dürfen jedoch im volkswirtschaftlich wesentlichen und kritischen Sektor Transport und Verkehr, zudem in enger Verflechtung mit dem kritischen Infrastruktursektor Gesundheit, nicht passieren. Sekunden können Leben kosten. Unkontrollierbare Machtverschiebungen, etwa durch das Erlangen von mehr als 51 % der Rechenpower (Proof of Work) bzw. des Gesamtvermögens (Proof of Stake), müssen ausgeschlossen sein.

Sie sind es jedoch nicht.

Ein gesamtgesellschaftlicher Nutzen ist nicht erkennbar, wenn wir uns mehr Risiken aussetzen als wir ursprünglich beseitigen wollten.


X. Ausblick

Der Beitrag zeigt grob überblickartig, dass die Blockchain als Unterfall der DLT-Technologie noch nicht für den Einsatz im Mobilitätsbereich mit gesamtgesellschaftlicher Bedeutung taugt. Dennoch gibt es grundsätzlich Anlass zum optimistischen Ausblick in die Zukunft. Die Lösung von bestehenden infrastrukturellen und in der Folge sozialen Problemen könnte in der Vernetzung der Behörden, Bürger und Marktakteure liegen. Dabei ist jedoch immer die Trennung an richtiger Stelle in Betracht zu ziehen. Die Vernetzung darf insbesondere nicht zu faktischem Ausschluss bzw. Zwang zur Mitteilung von personenbezogenen Daten führen.

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[1]  So lässt derzeit das Bundesministerium für Verkehr und Infrastruktur (BMVI) die Blockchain-Technologie gutachterlich auf ihre Tauglichkeit und Einsatzmöglichkeiten im Mobilitätssektor prüfen, Ausschreibungsdetails zu 1796/DG131 – Gutachten Blockchain-Technologie: https://www.evergabe-online.de/tenderdetails.html;jsessionid=1CCAC7CB639EFF6E5FC337243BB11ECA?0&id=185316 (zuletzt abgerufen am 27. Mai 2018). Ein Angebot hat die Autorin nicht abgegeben.

[2]  https://vimeo.com/256863923 (zuletzt abgerufen am 27. Mai 2018).

[3]  https://newsroom.porsche.com/de/themenwelten/themenwelt-porsche-digital/porsche-blockchain-panamera-xain-technologie-app-bitcoin-ethereum-daten-smart-contracts-porsche-innovation-contest-14901.html (zuletzt abgerufen am 27. Mai 2018).

[4]  Initial Coin Offering, siehe den Themenschwerpunkt in diesem Heft ab Seite …

[5]  Statt vieler Schneider, K., „Fintech-Vertreter zeigen sich entsetzt von PR-Aktion des Start-ups Savedroid“, 20. April 2018, http://www.handelsblatt.com/finanzen/banken-versicherungen/offener-brief-fintech-vertreter-zeigen-sich-entsetzt-von-pr-aktion-des-start-ups-savedroid/21196526.html?ticket=ST-1386794-MIFO90ahMdzvjGFecmd1-ap1 (zuletzt abgerufen am 27. Mai 2018).

[6]  Zur finanziellen Integration (finanz-)infrastrukturschwacher Gebiete z.B. Birnbach, Ri 2017, 77.

[7]  https://www.kritis.bund.de/DE/AufgabenundAusstattung/KritischeInfrastrukturen/Aufgabenbereiche/TransportundVerkehr/transportundverkehr_node.html (zuletzt abgerufen am 27. Mai 2018).

[8]  Statt vieler Ackermann, T. J., „Blockwart: Ethereum is facing what might be its biggest tech crisis in some time, with developers split over whether software changes should recover lost funds.”, 24. Februar 2018: https://www.tjack.nl/2018/02/24/blockwart-ethereum-is-facing-what-might-be-its-biggest-tech-crisis-in-some-time-with-developers-split-over-whether-software-changes-should-recover-lost-funds/ (zuletzt abgerufen am 27. Mai 2018).

[9]Wilmoth, J., “Bitcoin Gold Hit by Double Spend Attack, Exchanges Lose Millions”, https://www.ccn.com/bitcoin-gold-hit-by-double-spend-attack-exchanges-lose-millions/ (zuletzt abgerufen am 27. Mai 2018).

[10] Greis, F., „Das Problem: Moderne Autos verfügen über ein halbes Dutzend Schnittstellen, die ein Einfallstor für Schadcode sein können.“, „Forscher finden 14 Sicherheitslücken in BMW-Software“, 25. Mai 2018, https://www.golem.de/news/vernetztes-fahren-forscher-finden-14-sicherheitsluecken-in-bmw-software-1805-134592.html (zuletzt abgerufen am 27. Mai 2018); vgl. auch Otto in Ri 2017, 46 (57).

[11]  SWIFT, Final Report: gpi real-time Nostro Proof of Concept – Can blockchain pave the way for real-time Nostro reconciliation and liquidity optimisation?, Report kann über die Website https://www.swift.com/news-events/news/swift-completes-landmark-dlt-proof-of-concept angefordert werden.

[12]  Rohwetter, M., Tatje, C., „Gratis mit Bus und Bahn?“, 1. Februar 2018, https://www.zeit.de/2018/08/oepnv-verbesserung-luftverschmutzung-gratis-pro-contra (zuletzt abgerufen am 27. Mai 2018).

[13]Randelhoff, M., „Welche Vor- und Nachteile hat ein kostenloser ÖPNV? Werden Autofahrer tatsächlich zur ÖPNV-Nutzung animiert?, 4. April 2012/ 20, März 2018, mwN,  https://www.zukunft-mobilitaet.net/9011/analyse/kostenloser-oepnv-vorteile-nachteile-effekte/ (zuletzt abgerufen am 27. Mai 2018).

[14]  Randelhoff, M., „Welche Vor- und Nachteile hat ein kostenloser ÖPNV? Werden Autofahrer tatsächlich zur ÖPNV-Nutzung animiert?, 4. April 2012/ 20, März 2018, mwN,  https://www.zukunft-mobilitaet.net/9011/analyse/kostenloser-oepnv-vorteile-nachteile-effekte/ (zuletzt abgerufen am 27. Mai 2018).

[15]  Näher Randelhoff, M., „Welche Vor- und Nachteile hat ein kostenloser ÖPNV? Werden Autofahrer tatsächlich zur ÖPNV-Nutzung animiert?, 4. April 2012/ 20, März 2018, mwN,  https://www.zukunft-mobilitaet.net/9011/analyse/kostenloser-oepnv-vorteile-nachteile-effekte/ (zuletzt abgerufen am 27. Mai 2018).

[16]  Doll, N., Vetter, P. „Absurde Idee vom kostenlosen ÖPNV ist krachend gescheitert“, 26. Februar 2018, https://www.welt.de/wirtschaft/article173985167/Kostenloser-OEPNV-Gleich-mehrere-Gruende-lassen-die-Idee-krachend-scheitern.html (zuletzt abgerufen am 27. Mai 2018).

[17]  Otto, Ri 2018, 16 (29, 35).

[18]  https://www.ethereum.org/agreement unter „Risk of Weaknesses or Exploitable Breakthroughs in the Field of Cryptography“ (zuletzt abgerufen am 27. Mai 2018).

[19]  Vgl. Überblick in Singh, S., „Geheime Botschaften – Die Kunst der Verschlüsselung von der Antike bis in die Zeiten des Internet“, 14. Aufl. 2017, S. 338 (347).

[20]  Vgl. Überblick in Singh, S., „Geheime Botschaften – Die Kunst der Verschlüsselung von der Antike bis in die Zeiten des Internet“, 14. Aufl. 2017, S. 338 (351).

[21]  Donath, A., „Daimler fährt in den USA mit LKW im autonomen Konvoi“, 26. September 2017, https://www.golem.de/news/platooning-daimler-faehrt-in-den-usa-mit-lkw-im-autonomen-konvoi-1709-130252.html (zuletzt abgerufen am 27. Mai 2018).

[22]  Siehe Spalink, Ri 2018, 99 ff.

[23]  Otto, Ri 2017, 5 (9, 12).

[24]  Statt vieler Oberhaus, D., „The Flippening“: Die Bitcoin-Welt steht vor einer erstaunlichen Zeitenwende, 14. Juni 2017, https://motherboard.vice.com/de/article/zmew9e/the-flippening-bitcoin-steht-vor-einer-erstaunlichen-zeitenwende (zuletzt abgerufen am 27. Mai 2018).

[25]  Otto, Ri 2018, 16 (36); Ri 2017, 75.

[26]  Siehe Spalink, Ri 2018, 99 ff.

Titelbild: © ApricotBrandy via Adobe Stock, #159088614

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