Ri 02/2017: Smart Contracts. Chatbots. Cybercyber.

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Was ist eigentlich “Legal Tech”...?

Claudia Otto

Am Freitag, den 1. September 2017 fand im Fuchs-Petrolub-Festsaal des Mannheimer Schlosses auf dem Campus der Universität Mannheim eine Tagung zu der Fragestellung „Zugang zum Recht durch Legal Tech?“ statt. Initiator war PD Dr. Martin Fries, Herausgeberbeiratsmitglied der Ri, der die rund 100 Teilnehmer durch drei Blöcke mit jeweils drei Vorträgen führte.

Die Vortragenden des ersten Themenblocks „Durchsetzung geringwertiger Ansprüche in der Rechtspraxis“ berichteten von Kämpfen, Chancen und Hürden im sich gegenwärtig geradezu sprunghaft entwickelnden Rechtsdienstleistungsmarkt in Konkurrenz zur Rechtsanwaltschaft. Allen Dienstleistern[1] war gemein, dass sie v.a. zugunsten von Verbrauchern günstigere oder zumindest risikoärmere Anspruchsverfolgungsmöglichkeiten bieten, als es ein  Rechtsanwalt könnte oder wollte. Zu oft fallen Ansprüche der sog. rationalen Apathie zum Opfer, weil bereits die Kostenauslage für die Verfolgung eines geringwertigen Anspruchs schnell den Forderungsbetrag übersteigt[2] und das langwierige Wälzen eines Problems mehr Belastung schafft als Entlastung. Erkennbares Problem war jedoch, dass diese „Legal Tech“-Lösungen nur wenige, häufig gleichgeartet auftretende Verbraucherbegehren befriedigen können. Eine Verbesserung des Zugangs zum Recht ist daher in naher Zukunft nur in begrenztem Umfang zu erwarten. Als besonders problematisch stellt sich die fortschreitende Zersplitterung des Rechtsdienstleistungsangebots dar, wobei die konkurrierenden Angebote durch den Verbraucher kaum auf Qualität  geprüft  werden können. Es fehlt schlichtweg an Erfahrung und unabhängig ermittelten Erfahrungswerten. Das Marketing,  nicht jedoch die Leistung der Anbieter, steht im Kampf um Verbraucherdaten im Vordergrund.

Im zweiten Themenblock eruierten die Referenten das „Zusammenspiel von Legal Tech und anderen Konfliktlösungsverfahren“.  Schwerpunkt  bildeten  alternative  Streitbeilegungsverfahren. Die Musterfeststellungsklage wurde in einem Beitrag als denkbarer Anwendungsfall für „Legal Tech“ vorgestellt, allerdings auch postwendend infrage  gestellt. In einem weiteren Vortrag fiel der Begriff „Private  Enforcement“  (Selbstvollziehung), ohne die Frage zu vertiefen, wie – entgegen der gesetzlich beschränkt eingeräumten Selbsthilferechte und des staatlichen Monopols in Fragen der zwangsweisen Anspruchsbefriedigung – eine  dem Streitbeilegungsverfahren vorauseilende Selbstvollstreckung rechtlich eingeordnet werden kann. Dass die praktische Möglichkeit besteht, jemanden unter Verwendung technischer Mittel zu einem Tun oder Unterlassen zu zwingen, daran besteht kein Zweifel. Ein Anspruch ist jedoch von Gesetzes wegen „nur“ ein Recht, von einem anderen ein Tun oder Unterlassen zu verlangen, § 194 Abs. 1 BGB. Es ist gerade kein Recht, einen anderen zu einem Tun oder Unterlassen zu zwingen. „Legal Tech“ wäre hier nicht „legal“. Die Vertragsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) gestattet den Vertragsparteien sicherlich die gegenseitige Einräumung einer „Selbstbefriedigung“. Nichts Anderes ist ein erteiltes SEPA-Lastschriftmandat. „Legal Tech“ soll nun weit darüber hinaus gehen. Doch gerade im Falle von Verbrauchern, die ihre Gegenrechte aus einem Vertrag oft nicht kennen, muss davon ausgegangen werden, dass ein Ungleichgewicht zwischen den Vertragsparteien zulasten des Schwächeren, i.e. des Technikunkundigen, ausgenutzt wird. An dieser Stelle bedarf es keiner Diskussion, ob ein Algorithmus eine Norm  überhaupt auszulegen vermag. So war erfreulich, dass ein Redner sich mit Schlichtungsverfahren auseinandergesetzt hat, die in ihrer Gestaltung vielleicht nicht die technisch hipste,  jedoch  die  verbraucherfreundlichste,  mithin  günstigste und schneller befriedende Konfliktlösungsmöglichkeit darstellt. Da nach heutigem Begriffsentwicklungsstand eine E-Mail genügt, um ein Rechtsdienstleistungsangebot als „Legal Tech“ zu vermarkten, dürfte auch ein Schlichtungsverfahren, eingeleitet durch eine E-Mail, problemlos als „Legal Tech“ bezeichnet werden können.

Der letzte Themenblock, „Smart Contracts – Rechtsdurchsetzung ohne Rechtsdienstleister“ knüpfte an die problematische, im zweiten Veranstaltungsblock aufgeworfene Frage der „Selbstvollziehung“ an. Zum einen wurde leicht nachvollziehbar aufgezeigt, dass die Erwartungen an „Legal Tech“ das  Können der Technik bis über die Grenzen des Surrealen hinaus übertreffen. Menschliche, durch lebenslanges Lernen  beeinflusste Bewertung und demgegenüber statistische  Auswertung von Daten durch Computer sind in der Realität nicht vergleichbar und weichen im Ergebnis (noch) zu weit voneinander ab. Zum anderen kann ein befriedigendes Ergebnis vorerst nur erreicht werden, wenn der zu automatisierende Fall aufgrund besonders hoher Häufigkeiten im Auftreten und in den Umstands-, Handlungs- und Entscheidungsalternativen vorhersehbar ist. Der klassische juristische Einzelfall ist einer technischen Lösung daher noch nicht zugänglich.

Was also ist „Legal Tech“? In der ersten Ausgabe der Ri wurde “Legal Tech” als Sammelbegriff für alle technologiebasierten Lösungen für Probleme mit Rechtsrelevanz bezeichnet.[3] Im Grunde zeigt diese bewusst, fast ironisch unscharf formulierte Definition, wie sehr dieser Begriff doch zuvörderst Marketingbedürfnisse befriedigt. Wenn in der Ri von Legal  Technology gesprochen wird, meint der Begriff in Abkehr vom Buzzword „Legal Tech“ jede Technologie mit rechtskonformen Einsatz. Das Gegenteil bildet der Begriff: Illegal Technology. Technologien, die spezielle Probleme der Rechtsfindung, Rechtsberatung, Rechtsvertretung o.ä. lösen, insbesondere Verbrauchern besseren Zugang zum Recht bieten, bilden hier einen speziellen Unterfall.

Nachstehender Beitrag bildete im dritten Themenblock die kritische Position zu den geradezu marktschreierisch angepriesenen Möglichkeiten von und der Verwendungen des Begriffs des „Smart Contracts“. Aufgrund der nachvollziehbaren Probleme, als fachfremde Person eine neue und sich rasant entwickelnde Technologie wie die Blockchain und ihre Smart Contracts zu verstehen, bietet der folgende Artikel die gebotene und in einem 30-minütigen Vortrag nicht leistbare Ausführlichkeit.

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[1]  Im nachfolgenden Beitrag wird das Maskulinum verwendet, um den Lesefluss nicht zu beeinträchtigen.

[2]  Im Falle einer Forderung von 100,00 EUR fielen im Zeitpunkt der Klageeinreichung (vgl. § 6 Abs. 1 Gerichtskostengesetz, GKG) bereits 105,00 EUR Gerichtskostenvorschuss an. Dieser entspricht drei Gerichtsgebühren gemäß Nr. 1210 des Kostenverzeichnisses (KV) der Anlage 1 zum GKG zu je 35,00 EUR  gemäß Anlage 2 zum GKG. Im Falle des Unterliegens (in erster Instanz) hätte der Kläger eine Mindestkostenlast von 420,36 EUR zu tragen. Diese entspricht der Summe aus vorgenannten Gerichtskosten zzgl. eigener und gegnerischer Anwaltskosten in Höhe von jeweils (mindestens) 157,68 EUR nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG).

[3]  Otto, Ri 2017, 5 (13).

(verändert) Titelbild: © Vitaly via Adobe Stock, #213641411

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