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beA – in Quarantäne?

Dr. Sebastian Feiler

Die Corona-Krise verändert das Land, und mit ihr die Rechtslandschaft. Allenthalben hat die COVID-19-Pandemie die dritte Gewalt in einen Dornröschenschlaf versetzt. Es herrscht vielerorts – aus gutem Grund – Stillstand der Rechtspflege. Gleichzeitig sind viele Anwältinnen und Anwälte – aufgrund einer Anordnung eines fürsorglichen Arbeitgebers oder aus eigener, wohlüberlegter Vorsicht – in das home office gewechselt. Die Anwaltschaft schickt sich in Zeiten der Corona-Pandemie an, flächendeckend(er) zur Nutzung neuer Technologie überzugehen. Im home office hat nun einmal jeder Berufsträger einen PC, nur noch wenige jedoch Telefax und Postversand-Utensilien.

___STEADY_PAYWALL___All dies sind eigentlich gute Voraussetzungen, um der Digitalisierung des Rechtsverkehrs gehörigen Vorschub zu leisten. Zeit für eine kurze Bestandsaufnahme.


Schwierige Kindheit

Der digitale Scherbenhaufen, auf dem beA nun auf wackligen Beinen zu laufen lernt, ist allerdings groß. Der ursprünglich mit der Entwicklung beauftragte Dienstleister fiel durch, auch wenn an ihm lange festgehalten worden war. Sicherheitsprobleme waren vielseitig und mit Hilfe von IT-Prominenz[1] aufgedeckt worden.[2] Zeitweise war das System abgeschaltet. Auch das Notar-Postfach ist nicht verschont geblieben.[3] Das System ging nach hektischen Verbesserungen im Herbst 2018 wieder online – trotz anhaltender Kritik an bestehenden Problemen der Sicherheitsarchitektur. Hubert P. Schons, Präsident der Rechtsanwaltskammer Düsseldorf, kommentierte treffend mit einem Filmzitat: „Good night and good luck.“[4]

Zwischenzeitlich haben sich die Wogen oberflächlich etwas geglättet: Der beA-Auftrag ist neu ausgeschrieben und vergeben, die Verantwortlichkeiten neu verteilt worden.[5] Aus der Alpha- wird die Betaversion. Die grundlegend problematische Sicherheitsarchitektur besteht weiter. Und: Was bleibt, ist eine für die gemeinen anwaltlichen Nutzer (und natürlich die Nutzer in den Assistenzfunktionen) sperrige und im täglichen Gebrauch, will man die gehörige Sorgfalt anlegen, nicht einfach nutzbare Lösung.


Stört Euch nicht an meinen (Stör)meldungen

So richtig verlassen will man sich auf das System nicht. Die Meldungen zu Störungen im beA-System sind meist sybillinisch kurz und – als sei hier dem Geheimschutz Vorschub gegeben worden – kryptisch und unverbindlich. Die „Anmeldung an“ und der „Nachrichtenversand von und zu beA“ seien „teilweise eingeschränkt“, liest der geneigte anwaltliche Nutzer etwa zum Status am 16. März 2020.[6] Wenig zielführend sind auch die Abkündigungen bzw. Entstörungs-Meldungen. Zu dem vorzitierten Ausfall liest man bspw. in einem Update vom 25. März 2020, das beA habe seit dem 18. März 2020, 16:15 Uhr, wieder zur Verfügung gestanden. Die Ursache der Störung sei am 25. März 2020 endgültig behoben worden. Was geschah also zwischen dem 18. und 25. März? Offenbar existierte dort nur „Schrödingers beA“: Wer sich anmelden wollte, konnte feststellen, dass die immer noch bestehende Ursache der Störung auch zu ebensolcher Störung führte – oder eben nicht.

beA-Störungen sind anscheinend ansteckend: am 25. März 2020 war zur Abwechslung einmal der telefonische Anwendersupport nicht zu erreichen. Und zum 1. April 2020 erfahren wir: „Die beA-Anwendung steht wieder zur Verfügung, bleibt aber unter Beobachtung, sodass wir schnellstmöglich informieren, sollten wieder Probleme auftreten.“ Man weiß nun: Vorher hat man im BRAK-Maschinenraum offenbar nicht so genau hingeschaut. Oder war das etwa ein Aprilscherz? Fast hat es den Anschein, und der Blick auf die Statusmeldungen des EGVP-Systems erhellt nicht: Am 15. April 2020 heißt es dort zu der hier wiedergegebenen Meldung: „Störung: bundesweit. Anmeldung am beA wieder möglich“.[7]


Die Schöne (Justitia) und das beAst

Zum Qual des Ausfalls gesellt sich der Schmerz des Alltäglichen: Das Nutzerinterface lässt an vielen Stellen zu wünschen übrig. Es gibt Eingabefelder, die keine Bedeutung zu haben scheinen. Weshalb sollen beispielsweise Dateien beim Upload nochmals separat benannt werden und warum wird dies nicht erzwungen? Warum kann man Nachrichten als „dringend“ oder „zu prüfen“ kennzeichnen, wenn dies keine Auswirkung auf die Behandlung der Nachricht hat? Warum muss man bei der Suche im Adressregister auch bei Eingabe eindeutiger Suchbegriffe wie „Name“ ein zweites Feld ausfüllen, um in dem überschaubaren Datenbestand suchen zu dürfen? Weshalb muss ein Empfänger zunächst angeklickt, dann durch Druck auf „Empfänger“ in die Auswahl übernommen werden und muss der Dialog anschließend nochmal mit „OK“ bestätigt werden? Ist es gewollt, dass bei Zustellung an Kollegen ein elektronisches Empfangsbekenntnis mit einem Strukturdatensatz mit „unbekannter“ Justizbehörde (Pflichtfeld!) generiert wird? Warum wird beim Hochladen von mehr als fünf Anlagen kein Scroll-Balken angezeigt, sondern muss händisch und unübersichtlich die Ansicht weiterer fünf Anlagen durch Klick auf eine Nummer (2, 3, …) umgeschaltet werden? Und warum können pro Nachricht nebst Anlagen höchstens 60 MB hochgeladen werden?


Postulate für den Weg in eine Neue Normalität

Dies alles regt zum Nachdenken an. Eine Nachricht an die beA-Macher, wenn man sich einloggen und sie versenden kann, könnte folgende Verbesserungsvorschläge enthalten:

Wer ein zentrales, verpflichtendes, Anwältinnen und Mandanten mit aller (Rechts)macht treffendes Nachrichtenportal unterhält und sich eine zentrale Architektur – also einen single point of failure – entscheidet, muss durch klare, ausführliche, eindeutige und proaktive Störungsmeldungen, Zwischenmitteilungen und Entstörungs-Meldungen für Transparenz sorgen. Die Meldungen müssen kurzfristiger und mit mehr Details erfolgen.

Wer digitalisiert, sollte die Komplexität nicht erhöhen. Der Anwender ist es gewohnt, durch Kontrolle der Adresse und/oder der Telefax-Nummer, Prüfung des Sendevermerks und Abgleich der Zahl der gesandten Seiten schnell Gewissheit über einen erfolgreichen Übertragungsvorgang zu bekommen. Auf dem Ausdruck einer beA-Nachricht (für die Papierakte, Sie wissen schon…), der vier bis fünf Seiten lang ist, finden sich viele grüne Häkchen- aber keines neben den Informationen über den Eingang auf dem beA-Server und beim Empfänger.

Digitalisierung bedeutet eine Chance zur Automatisierung. Wo möglich, sollte sie genutzt werden, um Transparenz und Nutzbarkeit zu fördern. Hochgeladene PDF-Anhänge können im Hintergrund auf Konformität mit den in der ERVV/ERVB 2018 postulierten Anforderungen[8] (insbesondere: eingebettete Schriften!) geprüft werden. Zertifikate können ebenfalls automatisch geprüft werden.

Wer eine Kommunikationsplattform für die Anwaltschaft des 21. Jahrhunderts schafft, hat es mit Benutzern zu tun, die vorwiegend „mobile first“ (oder „mobile only“) leben. beA sollte daher die gängigen mobilen Systemplattformen unterstützen.

Schließlich: Wer ein zentrales Stück juristischer Netzinfrastruktur, zudem einen single point of failure, ins Leben ruft, sollte dies nachprüfbar gestalten und den Programmcode offenlegen. Nach wie vor ist zu fragen, ob beA das geeignete Fundament sein kann, auf dem die digitale deutsche Justizinfrastruktur im 21. Jahrhundert gedeihen kann.

Es bleibt abzuwarten, ob beA unter neuer Ägide doch noch zur Erfolgsgeschichte wird.

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[1]  Mitglieder des Darmstädter Chaos Computer Clubs entlarvten beA als „einfach. digital. kaputt.“, vgl. https://www.heise.de/newsticker/meldung/34C3-Das-besondere-Anwaltspostfach-beA-als-besondere-Stuemperei-3928474.html (zuletzt abgerufen am 15.04.2020).

[2]  Zum Ganzen vgl. auch die Initiativstellungnahmen des Deutschen Anwaltsvereins durch seinen Ausschuss Elektronischer Rechtsverkehr, DAV-Stellungnahmen Nr. 5/2018, abrufbar unter https://anwaltverein.de/de/newsroom/sn-5-18-initiativ-stellungnahme-zum-bea-76246, und Nr. 28/2018, abrufbar unter https://anwaltverein.de/de/newsroom/sn-28-18-zum-besonderen-elektronischen-anwaltspostfach (beide zuletzt abgerufen am 15.04.2020).

[3]  Vgl. https://www.heise.de/newsticker/meldung/Verschluesselung-und-Verfuegbarkeit-Aerger-mit-dem-elektronischen-Notarpostfach-4420312.html (zuletzt abgerufen am 15.04.2020).

[4]  Vgl. https://www.heise.de/newsticker/meldung/beA-Das-unsichere-Anwaltspostfach-startet-am-3-September-4144856.html und https://www.rak-dus.de/bea/ (beide zuletzt abgerufen am 15.04.2020).

[5]  S. BRAK-Presseerklärungen Nr. 4 v. 01.04.2019, abrufbar unter https://brak.de/fuer-journalisten/pressemitteilungen-archiv/2019/presseinformation-04-2019/, sowie Nr. 11 v. 02.09.2019, abrufbar unter https://brak.de/fuer-journalisten/pressemitteilungen-archiv/2019/presseerklaerung-11-2019/ (beide zuletzt abgerufen am 15.04.2020).

[6]  Vgl. https://bea.brak.de/2020/03/16/stoerung-im-bea-3/ (zuletzt abgerufen am 15.04.2020).

[7]  Abrufbar unter https://egvp.justiz.de/meldungen/index.php (zuletzt abgerufen am 15.04.2020).

[8]  Vgl. Ziff. 1 der Bekanntmachung zu § 5 der Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung, Bek. d. BMJuVS v. 19.12.2017, BAnz AT 28.12.2017 B2.

Titelbild: © Varunyu via Adobe Stock, #312774452

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