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Smarte Roboter in Richterrobe?

Eine – auch rechtstheoretische – Grundsatzfrage

Akademischer Rat a.Z. Dr. Björn Steinrötter

Nach Vorarbeiten in den 1950/60er Jahren[1] hat sich in den 1970er Jahren die „Rechtsinformatik“[2], welche die Anwendbarkeit und Anwendung von Methoden der Informatik im Recht zum Gegenstand hat,[3] als eigenständige wissenschaftliche Disziplin Bahn gebrochen.[4] Auch mangels technischer und technologischer Umsetzungsmöglichkeiten verlief die v.a. rechtstheoretisch durchaus anregende Diskussion dann aber zunächst im Sande.[5]___STEADY_PAYWALL___

Derzeit besteht indes die Chance, dass die Rechtsinformatik einen zweiten Frühling erleben darf. Neuen Stimulus erhält sie durch die anhaltende „Legal Tech“-Euphorie,[6] die sich bislang vornehmlich aus dem Anwaltsmarkt nährt. So schafft es smarte Informationstechnik bekanntlich bereits heute, in juristischen Kern-Arbeitsbereichen hilfreich zu assistieren. Dies gilt einmal mit Blick auf die Prozesse der Informationsbeschaffung und -strukturierung, etwa bezüglich Informationen zum Sachverhalt sowie zu relevanten Normen, ihrer Literaturkommentierungen und zu relevanten Urteilen.[7] Diese Rechercheebene erscheint inzwischen trivial, stellen doch gerade die einschlägigen digitalen Datenbanken beinahe unverzichtbare Hilfsmittel für den Rechtsanwender dar. Man darf sich heute gar fragen, ob die bislang erfolgte Digitalisierung in diesem Bereich nicht ihrerseits Einfluss auf die juristische Methodenlehre und damit i.E. das Recht hat.[8] Eine weitere, inzwischen ebenfalls selbstverständliche Facette der Rechtsinformatik liegt in der insbesondere darstellungstechnischen Umsetzung der Prüfungsmethoden, namentlich der Relation.[9]

Die weitere Entwicklung verheißt hier aber einen noch deutlich weitergehenden Einsatz von Computern,[10] namentlich im Bereich der Rechtsanwendung selbst, also der auf formaler Logik basierenden[11] und die Zeichenebene der Gesetzestexte erfassenden[12] Entscheidungsfindung. Dies erscheint jedenfalls für einfach gelagerte Fälle mitnichten a priori abwegig.[13] Dass die „dynamische Größe“ des wertenden Rechtsanwenders[14] zu Gunsten wertfrei-formal logischer Prozesse von digitalen Systemen wegfällt, mag prima facie gar als Rechtssicherheit bringender Vorteil verstanden werden.

Anspruchsvollere juristische Tätigkeiten wie die Handhabung des juristischen Syllogismus, die Bewältigung von norm-inhärenten Wertungen,[15] das Verstehen einer besonderen Normenlogik und der Umgang mit Begriffsbildungstheorien, bleiben bislang exklusiv menschlicher Kompetenz überantwortet.[16] Das gilt umso mehr, als Gesetzestexte oftmals (bewusst) vage formuliert daherkommen und auch in tatsächlicher Hinsicht diffizile soziale Konflikte bewältigt werden wollen.[17]

Ob maschinelle Gerichtsentscheidungen im Rahmen des weiteren Fortschritts von künstlicher Intelligenz aufwarten werden, bleibt einstweilen abzuwarten. Mindestens ebenso wichtig wie die technische Umsetzbarkeit ist aber die rechtstheoretische Fundierung der Möglichkeiten fortgeschrittenen „Legal Techs“.[18] Das sollte bei allem Glanz der (vermeintlich) schönen (vermeintlich) neuen Welt nicht vergessen werden.

Diese Fundierung erscheint im einschlägigen Fachschrifttum vergleichsweise unterrepräsentiert;[19] sie zu konstruieren gerät allerdings nachgerade zur Pflichtaufgabe des Rechtswissenschaftlers, der den mutigen Aufgalopp des „Legal Tech“-Praktikers teils unterstützen, teils kritisch einhegen muss. Sich auch diesen, (lediglich) a prima vista eher trocken anmutenden Aspekten der Diskussion um Chancen und Möglichkeiten smarter oder gar künstlich intelligenter Entscheidungssysteme anzunehmen, sollte daher Teil der inhaltlichen Ausrichtung sowohl eines lobenswerten Zeitschriftenprojekts wie der Ri als auch u. a. hierauf spezialisierter juristischer Vereinigungen wie der RAILS[20] sein.

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* Dr. Björn Steinrötter ist Habilitand am Institut für Rechtsinformatik (IRI) der juristischen Fakultät der Leibniz Universität Hannover sowie Gründungsmitglied und stellvertretender Vorsitzender der Robotics and Artificial Intelligence Law Society (RAILS), die zugleich Kooperationspartner der „Recht innovativ“ (Ri) ist.

[1]  Siehe etwa Zeidler, Über die Technisierung der Verwaltung, 1959; Fiedler, JZ 1966, 698; Luhmann, Recht und Automation in der öffentlichen Verwaltung, 1966; in der Folge dann u.a. Jandach, Juristische Expertensysteme. Methodische Grundlagen ihrer Entwicklung, 1993; Kilian, Juristische Entscheidung und elektronische Datenverarbeitung. Methodenorientierte Vorstudie, 1974; Wahlgren, Automation of Legal Reasoning, 1992; vgl. auch die Beiträge in Suhr, Computer als juristischer Gesprächspartner, 1970.

[2]  Den Begriff „Rechtsinformatik“ hat wohl Steinmüller erstmals Anfang der 1970er Jahre geprägt (Steinmüller [u. a.], EDV und Recht: Einführung in die Rechtsinformatik, 1970).

[3]  Bund, Einführung in die Rechtsinformatik, 1991, S. 11; Haft, Einführung in die Rechtsinformatik, 2. Aufl. 1977, S. 7 ff., 58; Kilian, CR 2001, 132.

[4]  Zur Geschichte der Rechtsinformatik jüngst Kilian, CR 2017, 202.

[5]  Im Fokus standen in der Folge hingegen die Auswirkungen des Einsatzes von EDV-Technik; die hiervon erfasste Querschnittsmaterie wird auch als Rechtsinformatik im weiteren Sinne, Informationsrecht, Internetrecht, Multimediarecht, Recht der neuen Medien, Recht der Informationstechnologie (IT-Recht), Computerrecht o.ä. bezeichnet.

[6]  Dazu nur Buchholtz, JuS 2017, 955; Zunker, AnwBl 2017, 1096.

[7]  Bund (Fn. 3), S. 11 f.

[8]  Knauer, Rechtstheorie 40 (2009), 379, 397 ff.; ähnlich Stürner, AcP 214 (2014), 7, 23 f.; vgl. zudem bereits Großfeld, Zeichen und Zahlen im Recht, 2. Aufl. 1995, S. 20.

[9]  Bund (Fn. 3), S. 12.

[10]  S. dazu Degen/Krahmer, GRUR-Prax 2016, 363; Fries, NJW 2016, 2860; Wagner, BB 2017, 898; beachte auch Raabe/Wacker/Oberle/Baumann/ Funk, Recht ex machina, 2012.

[11]  Zu den Vorbehalten gegen die formale Logik allgemein siehe nur die Darstellung bei Ratschow, Rechtswissenschaft und Formale Logik, 1998, S. 14 f. m.w.N.

[12]  Vgl. mit Blick auf das Common Law: Branting, Artificial Intelligence and Law 2 (1994), 1.

[13]  Vgl. auch Kilian, CR 2017, 202, 210 f.

[14]Haft (Fn. 3), S. 17.

[15]  Lapidar: Großfeld (Fn. 8), S. 21: „Werte [lassen] sich nun einmal nicht „berechnen“.

[16]Bund (Fn. 3), S. 12.

[17]  Vgl. zu lernfähigen Legal Robots: Wagner, BB 2017, 898, 901 f.

[18]  In diesem Sinne bereits Sliwiok-Born/Steinrötter, in: dies. (Hrsg.), Intra-und interdisziplinäre Einflüsse auf die Rechtsanwendung, 2017, 1, 14 ff.

[19]  Dazu aber (kritisch) Kotsoglou, JZ 2014, 451; siehe die (aufgeschlossenere) Erwiderung von Engel, JZ 2014, 1096; dagegen erneut Kotsoglou, JZ 2014, 1100; vgl. auch bereits Faller, Die richterliche Unabhängigkeit im Spannungsfeld von Politik, Weltanschauung und öffentlicher Meinung, in: Fürst/Herzog/Umbach, Festschrift für Wolfgang Zeidler, Bd. 1, 1987, 1, 83 ff.

[20]  http://ai-laws.org/.

 

Titelbild: © egilshay via Adobe Stock, #105403377

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